© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Verzerrt dargestellt
Politisch motivierte Kriminalität: Antisemitismus nimmt zu / Erhebung der Statistik bleibt fragwürdig
Björn Harms

Innenminister Horst Seehofer (CSU) gab am Dienstag keine Entwarnung: „Zwar sind die Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge gesunken“, verkündete er auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, in Berlin. Das sei jedoch kein Grund, sich erleichtert zurückzulehnen. „Im Gegenteil: Dies ist immer noch der dritthöchste Stand seit Einführung dieser Statistik im Jahre 2001.“

Das BKA erfaßte demnach 36.062 politisch motivierte Straftaten im gesamten Vorjahr. Rund die Hälfte der Straftaten (20.431) fallen in den „Phänomenbereich PMK rechts“. Nach einem starken Rückgang rechter Gewalttaten von 2016 auf 2017, gab es nun einen leichten Anstieg, wobei sich ein Großteil der Straftaten auf sogenanannte „Propagandadelikte“ bezieht. Weiter zurückgegangen sind hingegen die Angriffe auf Asylunterkünfte. Während die Behörden 2016 noch 995 Attacken und Anfeindungen ausmachten, waren es 2018 nur noch 173. 

Auch im linksextremen Spektrum gingen die Fallzahlen zurück, im Vergleich zum Jahr 2017 um 18 Prozent. „Das ist natürlich auf den Umstand zurückzuführen, daß es 2018 keine internationale Großveranstaltung wie den G-20 Gipfel gab“, erklärte Innenminister Seehofer. Die Ausschreitungen im Hambacher Forst seien ein Beleg für „die Bereitschaft von Linksextremisten, weiterhin schwere Gewalttaten zu verüben“, warnte er. Denn noch immer begehen Linke mehr schwere Gewalttaten wie Körperverletzungen oder Tötungsdelikte als der rechte Rand. Ganze 815 davon verübte die linke Szene gegen die Polizei.Auch gegenüber Politikern zeigt sie sich häufig skrupellos. So griffen Linksextreme im vergangenen Jahr 18 Mandatsträger an – 14 davon sind Mitglied der AfD. Von Rechtsextremen verzeichnete das BKA fünf Übergriffe auf Politiker. 

Einen weiteren Fakt nannten Münch und Seehofer am Dienstag „besonders besorgniserregend“. Laut BKA-Statistik stiegen die antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr um ganze 19,6 Prozent. Davon ordnet die Sicherheitsbehörde 89,1 Prozent der rechten Szene  zu. Diese Tatsache sei durch „nichts zu erschüttern“, teilte Seehofer mit und spielte damit auf die vermehrten Zweifel an der Aussagekraft der Statistik an. Denn in der PMK werden fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten grundsätzlich immer dem Phänomenbereich rechts zugeordnet, auch wenn keine Tatverdächtigen bekannt sind. Der „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“ hatte bereits im April 2017 auf dieses Problem hingewiesen. Wenn also Muslime Parolen wie „Juden raus“ an eine Hauswand sprühen, wird die Straftat bisweilen in der Rubik „Rechts“ eingetragen – und nicht etwa bei „PMK – nicht zuzuordnen“.

Darauf angesprochen, suchte Seehofer auf dem Podium Ausflüchte. „Die vertieften Betrachtungen führen zu keinem anderen Ergebnis“, rechtfertigte er sich. Auf den konkreten Vorwurf ging er jedoch nicht ein. BKA-Chef Münch mußte schließlich zugeben: „Fremden- und antisemitische Straftaten werden dann dem Phänomenbereich rechts zugeordnet, wenn keine gegenteiligen Tatsachen vorliegen.“ Und wurde noch konkreter: „Im Zweifel ordnen wir es dem rechten Bereich zu.“ Die Kritik daran prallte an Münch ab. „So wie wir das jetzt machen, bilden wir die tatsächliche Lage am besten ab“, begründete er das Vorgehen.

Ein Skandal, befand AfD-Innenpolitiker Martin Hess. „Immer wieder weisen Antisemitismus-Experten mit Nachdruck darauf hin, daß zwischen Statistik und Realität eine erhebliche Diskrepanz besteht.“ Diese Tatsache werde durch Umfragen der EU-Grundrechteagentur bestätigt, wonach Opfer antisemitischer Vorfälle zu 41 Prozent Muslime als Täter nennen, aber nur zu 20 Prozent Rechtsextremisten. „Diese Verzerrung der Statistik muß ein Ende haben!“ forderte der Bundestagsabgeordnete.

Parallel dazu haben sich die politisch motivierten Straftaten von Ausländern mehr als verdoppelt. Demnach registrierte das BKA 2.487 solcher Fälle. Schwerpunkt des Konflikts bilden hierbei Straftaten mit Türkeibezug. So habe die Militäroffensive in Afrin zu einem deutlichen Anstieg von Straftaten gegen türkische Einrichtungen in Deutschland geführt. Auch umgekehrt griffen Türken immer häufiger Kurden und ihre Räumlichkeiten an. Deutschland sei nunmal ein „Resonanzboden für Konflikte dieser Welt“, warf Seehofer lakonisch ein. Der Staat jedoch, versprach der Innenminister, werde „weiterhin alles tun, damit ausländische terroristische oder extremistische Organisationen Deutschland nicht als Aktionsfeld nutzen“.