© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Ländersache: Berlin
Die Hemmschwelle sinkt
Ronald Berthold

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht aus der Hauptstadt warnt: Linksextremismus findet im rot-rot-grün regierten Berlin Anschluß an die Zivilgesellschaft. Und die radikale Szene wächst. Ihre Zahl hat sich im vergangenen Jahr laut Verfassungsschutz um sieben Prozent auf 3.140 Personen erhöht. Damit ist sie mehr als doppelt so groß wie die der Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutz zählt hier 1.410 Personen – darunter Bärgida- und „Merkel muß weg“-Demonstranten sowie die Mitglieder der Identitären Bewegung. 

Neben den Zahlen ist die Wortwahl interessant, die der Geheimdienst wählt. Während er den Rechtsextremismus als „menschenverachtende Ideologie“ bezeichnet, finden sich teilweise relativierende Formulierungen zu linksmotivierter Gewalt. Die Hausbesetzerszene sei eine Reaktion auf „Wohnraumspekulation“. Und die Antifa eine „Folge fremdenfeindlicher Übergriffe“. Subtext: Ohne Kapitalisten und Rassisten gäbe es keine Linksextremisten. Über die Gewalt-

exzesse von Autonomen heißt es, diese erweckten „manchmal den Eindruck eines eher unpolitischen Vandalismus“. 

„Der Verfassungsschutz unterliegt dem Neutralitätsgebot und ist kein Mittel der politischen Agitation des Senats“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Berliner FDP-Fraktion, Marcel Luthe, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Es werfe ein zweifelhaftes Licht auf die Regierung, „wenn im Bericht der Versuch der Rechtfertigung jedwedes Extremismus unternommen wird“. Um so erstaunlicher, daß der Text einen eigenen Abschnitt über die Kampagne gegen die AfD enthält. Hier dokumentieren die Verfassungsschützer diverse Bedrohungen und Übergriffe auf Gastronomen, die AfD-Mitglieder bewirtet haben. Eine Gaststätte ist der Ratskeller im Rathaus Charlottenburg. Daß der grüne Stadtrat den Pächtern den Vertrag nach den Protesten Linksextremer kündigte, habe die Szene als „Erfolg“ gefeiert, stellt die Behörde fest. Dann folgt ein bemerkenswerter Satz: „Die Akteure dürften sich hierbei nicht unwesentlich von der gesellschaftlich anschlußfähigen Kritik an der AfD bestärkt fühlen.“

Ein weiteres Thema ist der rechtsfreie Raum um das besetzte Haus in der Rigaer Straße in Friedrichshain. Das „Wohnprojekt“, so der Verfassungsschutz wörtlich, habe für die Szene eine „hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung“. Es sei „Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen“. Es komme „immer wieder zu zahlreichen, teils schweren Straf- und Gewalttaten“. Die Politik toleriert dieses linksradikale Zentrum seit Jahren – obwohl die Behörde den Besetzern eine „sinkende Hemmschwelle im Hinblick auf die Anwendung bzw. Androhung verbaler, psychischer und physischer Gewalt“ bescheinigt.  „Anwohner, Polizisten und sogar Justizangestellte werden nicht nur namentlich und zum Teil mit Fotos öffentlich gebrandmarkt, sondern zudem indirekt und direkt bedroht.“ Auch Mitarbeiter von Hausverwaltungen und Immobilienunternehmen rückten zunehmend ins Visier der Linksextremisten. Die Behörde beobachte eine „kontinuierlich gesunkene Hemmschwelle“, heißt es abschließend. Linksextremisten gelinge es, „in die Zivilgesellschaft hinein zu wirken“. Zudem beeinflußten sie durch „geschickte Öffentlichkeitsarbeit“ den „gesellschaftlichen Diskurs und die öffentliche Meinung“.