© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Pamela, Arthrose und Eheringe vom Staat
Europawahl II: Kleine Parteien kommen mit Kuriosem
Paul Leonhard

Yannis Varoufakis ist ein cleverer Mann. Der frühere griechische Finanzminister will ins Europäische Parlament einziehen. Da er im eigenen Land keine Chance hat, nutzt er dafür die „Lex Germania“. Deutschland ist – neben Spanien – das einzige große Land, in dem es bei den Europawahlen keine Sperrklausel gibt. 

Kopfschüttelnd dürften die Briefwähler unter den rund 60,8 Millionen wahlberechtigten Deutschen schon vor den Wahlunterlagen gesessen haben: Selten ist die Auswahl so groß. 41 Parteien ringen um die Gunst der Wähler und einen Sitz im Europäischen Parlament. Das Besondere ist, daß jeder Wahlberechtigte nur eine Stimme hat und es – zum Ärger der in Berlin regierenden CDU, CSU und SPD – weder eine Drei- noch eine Fünfprozenthürde gibt.

Es geht um jene Parteien, die sich in den Umfragen stets hinter dem Wort „Sonstige“ verstecken und die zwischen acht und zehn Prozent der Wählerstimmen vereinen. Aktuell besetzen Vertreter der Kleinparteien  sieben der 96 deutschen Sitze im Europaparlament. Sie hatten bei der Wahl 2014 den Einzug ins Europaparlament geschafft, weil das Bundesverfassungsgericht kurz zuvor die Dreiprozenthürde im deutschen Europawahlgesetz gestrichen hatte.

Sitze, die Union und SPD gern unter sich verteilt hätten, weswegen sie im Sommer 2018 dafür sorgten, daß in Brüssel eine Sperrklausel beschlossen wurde. Danach sollen Parteien mit einem niedrigen Wahlergebnis keinen Sitz im Europaparlament mehr erhalten. Allerdings wurde das Gesetz in Deutschland nicht ratifiziert, da sich die Grünen querstellten. Diese pochten auf die Leitlinien der Venedig-Kommission. Der europäische Wahlkodex gibt vor, daß es in den zwölf Monaten vor einer Wahl keine grundlegenden Wahlrechtsänderungen mehr geben sollte.

„Für das Wohl und    Glücklichsein aller“

Und an dieser Stelle kommt wieder Varoufakis ins Spiel, der einst nach Verhandlungen mit Finanzminister Wolfgang Schäuble über die Griechenlandhilfe mit den Worten „So lasse ich mich nicht behandeln“, zurückgetreten war. Inzwischen ist der Grieche Berliner geworden und deutscher Spitzenkandidat der von ihm gegründeten gesamteuropäischen poltischen Bewegung „Demokratie in Europa – DiEM25“. Die Bewegung – auf Plakaten optisch unterstützt vom ehemaligen Playmate und Star der Neunziger-Jahre-Serie Baywatch“, Pamela Anderson – fordert eine Demokratisierung der EU-Institutionen. Den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen Europas sei nur durch eine europaweite demokratische Bewegung zu begegnen. 

Ähnliches liest sich in den Programmen fast aller zur Wahl zugelassenen Kleinparteien. Selbst der sich als nationalrevolutionär bezeichnende rechtsextreme „III. Weg“ konstatiert, daß „die Völker den gesamteuropäischen Mißständen“ nur im Verbund entgegentreten können, und fordert – neben „Europa erwache“ – eine „Europäische Eidgenossenschaft“. Als „Abschiebepartei Nummer 1“ fühlt sich dagegen die „Rechte“. 

Mit dem Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit (BIG) tritt auch eine „Migrantenpartei“ an, die Beobachtern als der türkischen Regierungspartei AKP nahestehend gilt. Für Toleranz, Ehrlichkeit und menschliche Verbundenheit in ganz Europa, vor allem aber für die älteren Generationen wollen sich die Grauen Panther einsetzen, die vor allem die Interessen der Rentner vertreten. Aber auch sie haben in den „Grauen“ Konkurrenz. Ausschließlich dem Einsatz für eine schnellere Entwicklung wirksamer Medizin gegen Alterskrankheiten wie Krebs, Alzheimer, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes Typ 2, Makuladegeneration, Arthrose, Osteoporose und Parkinson widmet sich die „Partei für Gesundheitsforschung“. 

Gegen Massentierhaltung, aber auch für „mehr Anstand und ethisches Handeln in der Politik“ kämpft die 2013 gegründete Partei „Menschliche Welt für das Wohl und Glücklichsein aller“ unter ihrem turbantragenden Vorsitzenden Michael Moritz. Und da ist noch die europäische „Partei der Liebe“. Sie verteidigt vehement die Ehe und fordert, daß „die Regierung mit öffentlichen Mitteln den Preis eines schönen Hochzeitskleides für die Braut und den Preis eines edlen Hochzeitsanzuges für den Bräutigam sowie den Preis von Eheringen in Höhe von bis zu 3.000 Euro für jede neue Familie bezahlen“ soll. Da die Liebe stärker ist als das Böse und der Haß, müsse es in allen Organen der Volksvertretung und des Staates mehr gewählte Vertreter geben, „die ein Herz haben und Liebe in ihrem Herzen tragen“, heißt es im Programm. 

Mit einem durchdachten Wahlprogramm hoffen der ehemalige AfD-Gründer Bernd Lucke und seine Liberal-Konservativen Reformer (LKR) auf ein politisches Überleben in Brüssel und Straßburg. Überhaupt erfreuen sich die kleinen Parteien einer wachsenden Aufmerksamkeit, wenn diese insgesamt auch gering ist. So sprechen sich in Prognosen vier Prozent der bayerischen Wahlberechtigten für die durch das erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ bekannt gewordene ÖDP aus. Und auch die Satirepartei „Die Partei“ des früheren Titanic-Chefredakteurs Martin Sonneborn, der dank 0,63 Prozent der Wählerstimmen seit 2014 im Europaparlament sitzt, würde drei Prozent erhalten.

Lohnenswert ist der Kampf um Stimmen für die Kleinen in jedem Fall. Denn bereits für 0,5 Prozent der Wählerstimmen gibt es staatliche Parteienfinanzierung, und diese Prozentzahl würde entsprechend dem Sitzzuteilungsverfahren wohl auch ausreichen, um einen Vertreter nach Brüssel zu entsenden. Vielleicht zum letzten Mal.