© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Eine notwendige Debatte
Nationale Industriestrategie 2030: Peter Altmaiers Wirtschaftspolitik für nationale Champions in der Kritik
Dirk Meyer

Wer sich auf Ludwig Erhard, die Leitfigur der Sozialen Marktwirtschaft, beruft und dann ein Konzept einer national-europäischen Industriestrategie mit staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen vorlegt, hat in marktliberalen Kreisen das Fegefeuer zu fürchten. So ergeht es derzeit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit seinen „Strategischen Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“. Sie sollen eine Antwort auf zukünftige Herausforderungen geben.

Einerseits sind es die neuen Basistechnologien, wie die Künstliche Intelligenz (KI, beispielsweise autonomes Fahren), die Plattformenökonomie (Google, Facebook) und neue Energieformen (Ökostrom, Elektromobilität). Andererseits unterliegen wir protektionistischen Handelspolitiken in einer globalisierten Welt, die uns von außen vorgegeben werden.

Ohne bereits eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen, ist diese Altmaier-Vorlage überaus lobenswert, da sie eine breite ordnungspolitische Debatte angestoßen hat: Wie läßt sich das Wohlstandsniveau in Deutschland und in Europa unter den gewandelten Rahmenbedingungen langfristig erhalten und welche Rolle soll der Staat hierbei übernehmen? Dabei ist hervorzuheben, daß die Maßnahmen erstens immer auf Werturteilen beruhen, beispielsweise der Bedeutung individueller Freiheiten und der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

Zweitens sind sie anhand früherer Erfahrungen zu prüfen. Wie haben etwa verschiedene staatliche Förderungen von Technologieschwerpunkten gewirkt? Schließlich drittens: Gibt es Wirkungszusammenhänge, die sich eindeutig belegen lassen? Hierzu würden die Wirkungen von Importzöllen auf die Wohlfahrt eines Landes zählen. Insofern gibt es selten ein Richtig oder Falsch. Vielmehr bleiben politische Handlungsspielräume.

Ein besonderes Problem liegt in der erst nachträglich möglichen Beurteilung von Erfolgen/Mißerfolgen der Maßnahmen. Zudem ist ein Vergleich mit einer alternativen Strategie nur bedingt möglich, da entweder auf frühere Erfahrungen oder auf Ländervergleiche zurückgegriffen werden muß. Mangels ungleicher Rahmenbedingungen sind diese Vergleiche nur bedingt tauglich. Um welche Bedrohungen geht es? Die „America First“-Politik, die Altindustrien wie Stahl, Autobau und Landwirtschaft durch höhere Zölle vermeintlich schützt, ist eine rückwärtsgewandte Industrieerhaltungspolitik mit hohen langfristigen Kosten für die USA. Eine „japanische Bedrohung“ gibt es seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Die einstige „Japan-AG“, in der 1949 das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (Miti) die Koordination der Schlüsselindustrien übernahm, hat langfristig nur in einzelnen Sektoren – wie aktuell KI, vernetzte Anlagen und Robotik – zu Erfolgen geführt.

Eine staatliche „Anmaßung von Wissen“?

Schließlich ist eine China-Phobie unrealistisch, denn ein autoritärer Staats­interventionismus wäre mit unserer freiheitlich-demokratisch-marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung nicht vereinbar. Exportsubventionen und ein illegaler oder zwangsweiser Technologietransfer bei Gemeinschaftsunternehmen sind „unfaire“ Wettbewerbsbedingungen. Allerdings profitiert der EU-Kunde durch günstige Preise, und mittelständische Unternehmen können sich notfalls zurückziehen.

Staatliche Lenkung kann langfristig nur unter hohen Kosten zu herausragenden Erfolgen führen, etwa im Militärsektor oder bei KI. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß für Deutschland und die EU durch diese protektionistische Politik kurzfristig in den betroffenen Industrien Anpassungen und Arbeitsplatzverluste drohen.

Ein erheblicher Teil der Vorschläge Altmaiers beruht auf einer staatlichen „Anmaßung von Wissen“ (Friedrich A. von Hayek), das erfahrungsgemäß lediglich dezentral bei den im Wettbewerb stehenden Unternehmen vorhanden ist. So beruht die Förderung einer Batterieproduktion mit einer Milliarde Euro auf der Annahme, daß die E-Mobilität die Zukunft ist. Erstens ist die ökologische Vorteilhaftigkeit keinesfalls geklärt (JF 18/19), noch wird auf eine alternative marktwirtschaftliche Steuerung durch CO2-Lizenzen vertraut.

Der „Erhalt geschlossener Wertschöpfungsketten“ ist keine staatliche Aufgabe, sondern ergibt sich aus einem unternehmerischen Kosten-Nutzen-Kalkül. Reine Bestandsschutzpolitik ist der Schutz „bestehender Champions wie Siemens, Thyssen-Krupp, Automobilhersteller oder Deutsche Bank“ – als wolle die Politik sich zum Anwalt (und Subventionszahler) von Schummeleien, Gesetzesverstößen und unternehmerischen Fehlentscheidungen machen. Auch die Forderung nach Schaffung „vergleichbarer Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer“ ist kritisch zu hinterfragen. Fallen hierunter auch gleiche Umweltstandards oder gar angepaßte Mindestlöhne, wie sie vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefordert werden?

Wettbewerbs- statt Industriepolitik lautet die zielkonforme Leitlinie. Sie besteht darin, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und Markt- wie auch Staatsversagen zu beheben. Sprich: Laßt Preise sprechen – auch im Umweltsektor durch eine Ausweitung der CO2-Lizenzsteuerung. Die teils marktbeherrschende Stellung der Plattformkonzerne (Google & Co.) wäre durch eine Reform der EU-Mißbrauchsaufsicht zu verhindern. Hierzu würde ein Verbot zählen, eigene Produkte auf Plattformen anzubieten (etwa Preisvergleichsdienste, Reiseportale) und Dritten einen Datenzugang zu gewähren.

Schließlich fällt dem Staat die Aufgabe zu, eine zukunftsfeste Infrastruktur (Bildung, Breitbandausbau, Energiesicherheit) bereitzustellen und für verläßliche Rahmenbedingungen für Bürger und Unternehmen zu sorgen. Eine fallweise, der politischen Windrichtung folgende Eingriffspolitik ist fehl am Platze. Sie wird dennoch zu häufig praktiziert.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

 bmwi.de/





Nationales Fitneßprogramm

Der Familienunternehmerverband hat ein „Nationales Fitneßprogramm“ als Alternative zur „Industriestrategie 2030“ des Wirtschaftsministeriums veröffentlicht. „Wir sollten uns hüten, aus Angst vor Ländern wie China deren protektionistische Maßnahmen zu kopieren oder unser Beihilfengesetz aufzuweichen und ebenfalls auf Subventionen zu setzen“, warnte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Deutschland und die EU sollten „selbstbewußt ihre Wirtschaftsmacht einsetzen – zur Setzung von Standards und Marktöffnungen“. Die Welthandelsorganisation WTO müsse künftig wieder maßgebliche Plattform für Handelsfragen werden. Die Familienunternehmer verlangen ein einfacheres und konkurrenzfähigeres Unternehmenssteuersystem sowie eine höhere Geschwindigkeit bei Genehmigungsverfahren und einen schnelleren Infrastrukturausbau. „Unser Staat muß um so viel schneller werden, wie der Standort Deutschland teurer ist“, forderte der Hamburger Chemieunternehmer von Eben-Worlée. (fis)