© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Raus aus dem Nebel der Erinnerung
Portugal: Trotz großer Geschichte eher ein unbekanntes Land am Rande Europas
Wolfgang Bendel

D ie im Jahr 1891 von Henrique Lopes de Mendonça getextete Nationalhymne Portugals (A Portuguesa) klingt heroisch: „Helden der See, edles Volk / Tapfere und unsterbliche Nation / Erhebet heute aufs neue / Die Pracht Portugals! / Aus den Nebeln der Erinnerung / O Vaterland, fühlt die Stimme / Deiner ehrwürdigen Vorväter, / Die Dich zum Siege führen werden!“

Vaterländische Worte. Doch im Gegensatz dazu ist das portugiesische Parteiensystem stark linksdominiert. Erkennbar ist das daran, daß es seit dem Übergang zur Demokratie westlicher Prägung im Jahr 1975 keiner rechten Partei gelang, auch nur einen Abgeordneten ins Parlament zu entsenden. 

Linke Dominanz kann doch schnell gebrochen werden 

Wie stark die Hegemonie linker Denkweisen ist, wird auch daran sichtbar, daß sich Parteien links klingende Namen geben, obwohl sie liberale oder konservative Zielsetzungen vertreten. Eine der beiden Großparteien, die zentristische PSD, nennt sich Partido Social Democrata, also Sozialdemokratische Partei, die konservative CDS-PP nannte sich lange Zeit nur Centro Democrático e Social (Demokratisches und Soziales Zentrum), bevor sie ihren Namen durch den Begriff Partido Popular (Volkspartei) ergänzte. 

Wie das Beispiel Vox in Spanien zeigt, besitzt einseitige ideologische Dominanz in keinem Land Ewigkeitsgarantie. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Soziologin Marina Costa Lobo von der Universität Lissabon. In einem Aufsatz mit dem Titel „Von der Abwesenheit des Populismus“, der in der liberalen Wochenzeitung Expresso veröffentlicht wurde, geht sie der Frage nach, warum Portugal bislang von Rechtspopulisten „verschont“ blieb und warum das keineswegs so bleiben muß. Globalisierungsverlierer gäbe es auch in Portugal, diese würden sich aber entweder völlig von der Politik abwenden oder sich von zwei Parteien der radikalen Linken vertreten lassen. 

Gemeint sind der maoistisch-trotzkistische Bloco de Esquerda (Linksblock) und die KP-dominierte Coligação Democrática Unitaria (Demokratische Einheitskoalition). Dieser Zustand müsse aber nicht ewig so bleiben, denn ein Potential für eine rechtspopulistische Partei sei durchaus vorhanden, wie Meinungsumfragen zur Einwanderungsfrage zeigten. Dabei denkt Costa Lobo weniger an die altbekannte Partei der Nationalen Erneuerung (PNR) oder eine nach rechts gewendete CDS-PP, sondern an neu zu gründende Parteien. 

In der Tat beteiligt sich an der Europawahl erstmals ein Bündnis kleiner Rechtsparteien unter dem Namen Basta! (Schluß!). In dem Bündnis unter der Führung von Andre Ventura um die Formation Chega (Es reicht) befinden sich auch die Monarchistische Volkspartei, eine kleine christliche Partei und eine wirtschaftsliberale Gruppe. In Meinungsumfragen liegt das Bündnis laut dem Institut Aximage bei knapp zwei Prozent, was für portugiesische Verhältnisse viel ist. Für einen Sitz in Brüssel wären freilich um die 4,5 Prozent nötig, da Portugal nur 21 Sitze zustehen.

Die Tatsache, daß sich in Portugal erstmalig Parteien rechts der Mitte bemerkbar machen können, ist Folge der auch dort spürbaren Flüchtlingskrise. In Portugal liegt die Ursache für diese Wanderungsbewegungen hauptsächlich in der kolonialen Vergangenheit des Landes. Die gemeinsame Sprache und kulturelle Verbundenheit zieht Menschen aus den ehemaligen Kolonien an. Grund genug, einen Blick auf die koloniale Geschichte des Landes zu werfen. 

Im Jahre 1578 marschierte ein portugiesisches Invasionsheer in Marokko ein. Es stand unter dem Kommando des jungen Königs Sebastian und umfaßte 15.000 Infanteristen und 1.500 Kavalleristen. In der Nähe von Alcácer Quibir trafen sie auf die Truppen des marokkanischen Sultans, die die portugiesischen Streitkräfte vollständig aufrieben. Wer nicht fiel, wurde versklavt. Auch der erst 21jährige portugiesische König war unter den Toten. Kaum hundert Portugiesen konnten entkommen. Es war die verheerendste Niederlage der portugiesischen Geschichte und markierte den Höhe- und Endpunkt des ersten portugiesischen Weltreichs. Später rankten sich viele Legenden um den Gefallenen. Er sei in Wirklichkeit nicht gestorben, sondern „verschwunden“ und „schlafe“, um zukünftig Portugal in seiner schlimmsten Stunde zu Hilfe eilen zu können. Eine Überlieferung, die  in bemerkenswerter Weise an die Barbarossa-Sage erinnert. 

Bis zu dieser Katastrophe und unter Anleitung des auch weit über Portugal hinaus berühmten Heinrich des Seefahrers waren die kolonialen Bestrebungen Portugals sehr erfolgreich verlaufen. Jedem an Geschichte und Geographie Interessierten sind Namen wie Bartolomeu Dias oder Vasco da Gama geläufig. Diese frühen Entdecker erreichten das Kap der Guten Hoffnung, umsegelten es, um dann weiter bis nach Ostafrika, Indien und China vorzudringen. Magellan schließlich umrundete als erster die ganze Welt. 1500 erreichte Cabral das heutige Brasilien. Das kleine Land am Südwestzipfel Europas hatte ein Weltreich errichtet. Portugal war damals, was Kartographie, Nautik und Schiffsbau betrifft, das Maß aller Dinge. 

Der Rückschlag nach der Katastrophe von Marokko, für einige Jahrzehnte hatte sich Spanien Portugals bemächtigt und eine Iberische Union geschaffen, hatte keine dauerhaften Folgen. Im Gegenteil. Von der Mitte des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts errichteten die Portugiesen ein Drei-Kontinente-Weltreich: Sie hatten jetzt Stützpunkte entlang der gesamten afrikanischen West-, Süd- und Ostküste sowie der Ostküste Südamerikas. Portugiesische Niederlassungen gab es im indonesischen Archipel (Ost-Timor), auf dem indischen Subkontinent (Goa), im  heutigen Taiwan („Formosa“), in China (Macau) und auf zahlreichen Atlantikinseln. Wichtige Meerengen wie die Straße von Hormus oder die von Malakka kontrollierte Portugal.  In der Regel drangen die Portugiesen nicht ins Landesinnere vor, sondern beschränkten sich auf Stützpunkte an der Küste. Die geringe Bevölkerungszahl des Landes verhinderte eine intensive koloniale Durchdringung.

Bis ins 18. Jahrhundert war das Portugiesische in den genannten Gegenden die Lingua franca des Fernhandels. Portugiesische Worte drangen in die lokalen Idiome und Dialekte ein, und heute zählt Portugiesisch zu den verbreitetsten Sprachen weltweit. Für mehr als 250 Millionen Menschen ist Portugiesisch Muttersprache, in acht Ländern Amtssprache.

Eine beeindruckende Leistung angesichts der geringen Größe und Bevölkerungszahl des Landes. Den Portugiesen zu Hilfe kam dabei, daß die eroberten Gebiete dünn besiedelt waren und kaum staatliche Strukturen aufwiesen. Um das Jahr 1600 kontrollierten beispielsweise ganze 3.000 Portugiesen die gesamte brasilianische Küste. Der erstarkende britische Imperialismus vertrieb dann die Portugiesen vielerorts oder führte dazu, daß sich die iberische Nation bei formeller Unabhängigkeit den Interessen Englands unterordnen mußte.

Koloniales Erbe in der Nationalmannschaft

Bis zuletzt klammerte sich das kleine Land an seine überseeischen Besitzungen vor allem in Afrika, nachdem Brasilien bereits 1822 unabhängig geworden war. Mit der 1974 erfolgten Nelkenrevolution, die den Ständestaat von Salazar stürzte, endete die koloniale Herrlichkeit. Als letzter Überseebesitz wurde Macau 1999 an China zurückgegeben. 

In gewissem Maß offenbarten sich Relikte des portugiesisches Kolonialreich in günstiger Konstellation, als bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 Portugal den Sieg davontrug. Die Spieler kamen dabei nicht nur aus Portugal selbst, sondern auch aus seinen ehemaligen Kolonien. Gebürtige Brasilianer waren genauso mit von der Partie wie Akteure, die in den ehemaligen afrikanischen Kolonien ihre Wurzeln haben.