© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

„Ach wär’ ich doch ein Pflasterstein ...
Stadtplanung: In Erfurt regt sich Widerstand gegen die Umgestaltung von Teilen der alten Via Regia
Martina Meckelein

Schwarz sind sie und nicht nur wenn es regnet so glatt wie ein Kinderpopo: die Kopfsteine aus Basalt in der Allerheiligenstraße in Erfurt. Darüber hinaus sind die Spalten aus den Fugen geraten – zu breit. Jetzt ist das zwischen 120 und 200 Jahre alte Pflaster zum Politikum geworden. Denn die Steine werden herausgerissen – auf 1.800 Quadratmetern. Der Grund: Sie seien nicht behindertengerecht. Dagegen regt sich Bürgerwiderstand, für den die Stadtverwaltung kein Verständnis hat. Aber spielt die überhaupt mit offenen Karten?

„Es gibt nicht einen einzigen Grund, dem Basaltpflaster nachzuweinen oder auf dessen Bestand zu pochen“, sagt Heike Dobenecker, Pressesprecherin der Stadt Erfurt, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Der Basalt ist auch nur in die Stadt gekommen, weil nix anderes da war. Basalt gehört nicht zu Erfurt.“

Rückblick: Erfurt liegt an der Via Regia, dem berühmten Handelsweg von Paris nach Kiew. Von Westen kommend, führt die Königsstraße zwischen Petersberg und Dom über die Markt- und Allerheiligenstraße Richtung Krämpfertor. Ihren Namen verdankt die Straße der Kirche, die an ihrem Beginn steht: der römisch-katholischen Allerheiligenkirche aus dem 12. Jahrhundert. Entlang der Straße reihen sich spätgotische Häuser wie das „Haus zum güldenen Stern“ oder „Zur Löwenburg“.

Erfurt wurde im Zweiten Weltkrieg wenig zerbombt, nach dem Krieg nicht modernisiert, und zum Glück kam die Wende 1989 der geplanten Totalzerstörung der Altstadt zuvor. So ist ein Teil des mittelalterlichen Straßenbildes erhalten geblieben. Mit den verwinkelten Häusern korrespondiert das Kopfsteinpflaster – aber für Rollator, Rollstuhl, Krücke oder Stöckelschuh ein arges Hindernis.

Zugegeben: Der Basaltstein ist nicht der mittelalterliche Originalbelag. Ende des 19. Jahrhunderts sei der überwiegende Teil der Fahrbahn mit Steinen aus dem hessischen Basaltsteinbruch Dreihausen gepflastert worden, weil die einheimischen Muschelkalksteinbrüche bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erschöpft waren. Der Basalt sei laut und glatt und habe schon damals zu vielen Auffahrunfällen geführt.

Die JF fragte bei der Polizei Erfurt nach, wie unsicher denn nun aktuell das Kopfsteinpflaster in der Allerheiligenstraße ist? „In den letzten zehn Jahren hatten wir insgesamt 54 Unfälle mit dem Schwerpunkt ruhender Verkehr, also Aus- und Einparkunfälle oder Spiegelklatscher“, sagt Christine Deutschmann von der Landespolizeiinspektion Erfurt. „Davon zwei Fußgänger- und drei Fahrradunfälle mit einer leichtverletzten Person.“

Um diesen Unfallschwerpunkt zu entschärfen, greift die Stadt tief ins Säckel: 983.100 Euro läßt sie sich die Umgestaltung samt Kabelneuverlegung kosten. Der alte Basalt wird beim städtischen Straßenbetriebshof gelagert. „Bis wir an anderer Stelle dafür Verwendung haben oder dieses Pflaster verkaufen und dafür anderes Natursteinpflaster kaufen“, erklärt die Stadt. Ein Verfahren, das schon zu DDR-Zeiten Methode hatte. Die staatseigene Außenhandelsfirma Limex verkaufte laut Spiegel allein 1986/87 alte Pflastersteine aus Ost nach West für acht Millionen D-Mark. Was zum Kalauer führte: „Ach wär’ ich doch ein Pflasterstein, dann könnt’ ich bald im Westen sein.“

Doch die Erfurter wollen ihr Pflaster nicht hergeben, starteten die Online-Petition „Rettet historisches Erfurt – Altes Pflaster neu verlegen“. Initiatorin ist die Kinderstadtführerin Franziska Bracharz. Bis zum Redaktionsschluß dieser Ausgabe wurde die Petition von rund 2.600 Unterstützern unterschrieben. Die Stadtverwaltung ist verärgert: „Wir haben zum Thema Allerheiligenstraße drei Infoveranstaltungen im Rathaus gehabt“, sagt Dobenecker. Die JUNGE FREIHEIT fragte beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (TLDA) nach, wie das Amt dazu stehe, den alten Straßenbelag nicht wieder einzusetzen? „Negativ“, sagt Thomas Adametz, Referatsleiter für Information. „Die seitens des TLDA vorgeschlagene Besprechung zu Alternativen unter Berücksichtigung der Belange von Schwerbehinderten wurde seitens der Stadt Erfurt nicht angenommen.“

Die Petition  „Rettet historisches Erfurt – Altes Pflaster neu verlegen!!!“ findet sich auf der Internet-Plattform www.change.org