© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Die Poesie der Parkplätze
Kino: Kanwal Sethis Film „Once again – Eine Liebe in Mumbai“ handelt von der Sinnkrise in der Lebensmitte
Sebastian Hennig

Ein elegischer Film über die Einsamkeit inmitten von Menschenmassen ist „Once again – Eine Liebe in Mumbai“. Der Regisseur und Drehbuchautor Kanwal Sethi wurde im indischen Amritsar geboren und betätigte sich nach der Schule in unabhängigen Schauspieltruppen seiner Heimat. Dann zog er nach Deutschland, um in Dresden Politik- und Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Sein erster Spielfilm „Fernes Land“ ist 2011 entstanden. Zum neuen Film meint er, dieser sei „Teil einer Trilogie, in der ich mich dem sehr facettenreichen, modernen und urbanen Indien mit all seinen Veränderungen, Spannungsfeldern und Sehnsüchten annähern möchte“.

Erklärte Absicht seines Produzenten Holm Taddiken ist es, die ästhetischen Tugenden des Autorenfilms mit den erprobten Wirkungen der Massenware Film zu verbinden. In diesem Fall wird das versucht durch ein exotisches Lokal und Kostüme, erprobte indische Schauspieler und eine Ausgangssituation, in der das Zielpublikum sich wiedererkennen kann. Entstanden ist eine farbige und sentimentale Inszenierung der Sinnkrise zweier Menschen in der Lebensmitte.

Unter den regelmäßigen Kunden der verwitweten Köchin Tara (Shefali Shah) befindet sich der Leinwandheld Amar (Neeraj Kabi). Aus seinen telefonischen Bestellungen hat sich ein tägliches Ferngespräch entwickelt, dem beide Teilnehmer verfallen sind. Stundenlang berichten sie aus ihrem Leben, ohne es zu wagen, dessen Abläufe miteinander zu verflechten, indem sie sich treffen. Sie leben in der gleichen Stadt und gehen sich aus dem Weg.

Tara fühlt sich ihren beiden erwachsenen Kindern verbunden. Der Sohn steht vor seiner Heirat. Die Küche des Restaurants ist erneuerungsbedürftig. Amar lebt getrennt von seiner Frau. Seine natürliche Befangenheit wird noch verstärkt durch jene Mißverständnisse, die seine Popularität hervorrufen. Er ist ein Medium fremder Sehnsüchte. Auf der Leinwand verkörpert er einen Typus, dessen Ansprüchen er im wirklichen Leben nicht gewachsen ist. Er ist ein „Filmstar, der von den Massen geliebt und bewundert wird, aber einsam ist, wie Tausende andere in dieser Stadt“, lautet die banale Feststellung von Regisseur Kanwal Sethi.

Die Annäherung wird im Keim erstickt

Vor der Kamera tanzt der Graumähnige mit schattierten Augen in knöchelhohem Wasser. Im Wohnwagen wird er vom Maskenbildner abgeschminkt. Dann schaut der einsame Schauspieler aus dem Panoramafenster seiner Wohnung über den Lichterteppich der Großstadt auf die ruhige Fläche des Arabischen Meeres hinaus. Bedienstete legen ihm die bestellten Speisen auf den Teller. Währenddessen rührt die Köchin über den Gasbrennern mit der Kelle in riesigen Kesseln. Oder sie dreht den steinernen Mörser mit zierlicher Hand und schlägt den Quirl.

Statt um Spannung ist der Film um Poesie bemüht. Die Küchenbilder zeigen eine mythische Welt. Doch es überwiegt in „Once again“ die Poesie der Autofahrten und Parkplätze. Da huschen die Reflexe der unzähligen Lampen und Lichter in verschiedensten Farben über die Frontscheibe des Fahrzeugs. Die Lichtverschmutzung wirkt zugleich als Raumvernichter. Die Großstadt ist eine Zumutung. Die wiederkehrenden Bilder der Straßen und Hochhausburgen der Millionenstadt Bombay sind gesichtslos und vermögen keinen konkreten Ort zu beschwören. Dieses gespenstische Nirgendwo und Überall trägt wesentlich zum Gefühl der Verlorenheit der beiden Protagonisten bei. Als es endlich doch zu einem Treffen kommt, blicken wir aus der Perspektive der Fahrer auf die Umgebung. Das Scheinwerferlicht streift über die Bäume und Büsche am Straßenrand. Ständiges Hupen begleitet die Fahrten über die Straßen der Stadt. 

Erst nachdem eine Stunde des Films vergangen ist, kommt es zur Berührung. Die ist weniger ein leidenschaftliches Umfangen als ein sehnsüchtig-resigniertes Tasten. Die Annäherung wird im Keim erstickt durch das öffentliche Interesse an dem Paar. Beim nächsten Besuch wird die Geliebte vor den anwesenden Filmkollegen zur Essensträgerin zurückgestuft. Auch beim nachfolgenden Anruf vermag Amar sich nicht zu einem Bekenntnis durchringen. Stattdessen gelingt ihm im Tonstudio die Gestaltung einer Szene mit größter Dramatik. „Danke, man hört den Schmerz“, kommentiert der Techniker. Ein weiteres mal schleicht sich bittere Ironie in den Film, als die Tochter des Schauspielers in dessen Wohnung einen Film über Makaken ansieht. Beim Kommentar, die Küste böte reichlich Gelegenheiten für Lebewesen, die intelligent genug sind sie zu nutzen, lacht sie in Anwesenheit des Vaters kurz und gepreßt auf. 

Die beiden Protagonisten sind voller Rasse, wenn auch nicht eigentlich schön. Ihre verbrauchten Züge erglänzen vor allem im Licht der Erinnerung und dem Bewußtsein des gegenwärtigen Verzichts. Im Schein der künstlichen Beleuchtung wirken die Physiognomien besonders ungesund und fiebrig. Ein irreales Nachspiel vermischt die Fiktion des Films und die geheimen Sehnsüchte. Da stehen die beiden an der Reling eines Segelbootes, das frische Fahrt durchs Meer nimmt. Es ist das Bild einer unerfüllten Verheißung. Insgesamt überwiegt in diesem Film die Konvention die eigenwillige Handschrift und die Langeweile die Nachdenklichkeit. 

Kinostart am 16. Mai 2019