© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Zum 200. Jubiläumsjahr: Fontane fügt sich in kein heute akzeptables Raster
Politisch unzuverlässig
(dg)

In unserer Kulturindustrie, Unterabteilung Kalenderblätter, wird schon seit Monaten eifrig die Trommel für „200 Jahre Fontane“ gerührt. Dabei bereitet der Romancier Preußens, der wegen seiner hugenottischen Abkunft stets damit kokettierte, mehr Gascogner als Märker zu sein, gerade denen erhebliche Mühe, die Leben und Werk in kleiner feuilletonistischer Münze vermitteln wollen. So kommt Wolf Scheller, lange Zeit beim WDR für Literatur und Zeitgeschichte zuständig, nicht damit zu Rande, daß sich Theodor Fontane nicht seiner Interpretation der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ fügt. Stattdessen konstatiert er die notorische politische Unzuverlässigkeit eines Poeten, der 1848 als Demokrat hervortrat, um anschließend als Korrespondent der „ultrakonservativen“ Kreuzzeitung nach England zu gehen (Universitas, 3/2019). Sein Verhältnis zu Bismarck sei zumindest ambivalent gewesen, Wilhelm II. habe er anfangs bewundert, um dann um so schneller vom jungen Kaiser abzurücken. Und dann habe es da noch besonders „dunkle, unschöne Seiten in seiner Persönlichkeit“ gegeben, die sich in „antisemitischen Ausfällen“ zeigten, was ihn nicht an engen Freundschaften zu Juden hinderte. Da Scheller mit der politisch-historischen Kontextualisierung dieses Phänomens vollends überfordert ist, psychologisiert er und erklärt es wie Fontanes Tochter mit „Nervenpleiten“. 


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