© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Die Byzantiner vom Schwarzen Meer
Die „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ erinnert mit einer Buchvorstellung an die Vertreibung der Pontosgriechen durch die Türken vor hundert Jahren
Robin Simmons

Bei der Veranstaltung „Pontos – Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer. Eine Spurensuche“ der „Stiftung Flucht, Vertreibung Versöhnung“ stellte der Journalist und Autor Mirko Heinemann am 7. Mai sein Buch „Die letzten Byzantiner“ vor. Das Wort Pontos heißt auf griechisch nichts anderes als „Meer“. Im Mai 1919, vor genau einem Jahrhundert, begann die Vertreibung der christlich-orthodoxen griechischen Minderheit von der Schwarzmeerküste. Heute sind Pontosgriechen auf viele Länder der Welt verstreut, eine Rückkehr in ihre anatolische Heimat in der heutigen Türkei ist seit ihrer Vertreibung ausgeschlossen. 

Über die Pontosgriechen und ihr Ausmaße eines Genozid annehmendes Schicksal ist bis heute nicht viel bekannt, jedenfalls nicht hierzulande. Diese These stellt zumindest die Berliner Soziologin (FU Berlin) Tessa Hofmann auf. Die ausgewiesene Expertin zur Historie der anatolischen Griechen sieht Gründe dafür in der „außenpolitischen Tradition“ Deutschlands, wo durch das Bündnis während des Ersten Weltkriegs mit dem Osmanischen Reich – ähnlich dem Völkermord an den Armeniern – weder eine kritische Berichterstattung und erst recht keine politische Verurteilung der türkischen Verbündeten erfolgt sei. 

Dschihadistische und nationalistische Motive

Daß zwischen 1914 und 1923 Hunderttausende christlich-orthodoxe Pontosgriechen im Osmanischen Reich systematisch vertrieben worden sind und dabei eine große Anzahl von ihnen ermordet wurden, gilt jedoch als unstrittig. Von circa 350.000 Todesopfern ist gemäß eines Dokumentes des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen (E/CN.4/1998/NGO/24) die Rede. Auch Abertausende in Zentralanatolien lebende Griechen waren damals Verfolgungen ausgesetzt und kamen bei  Zwangsdeportationen und Todesmärschen um, lange bevor im Vertrag von Lausanne 1923 der „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Griechenland und der Türkei geregelt werden sollte. 

Bei diesem „Austausch“ wurden dann etwa 1,2 Millionen in Anatolien lebende christliche Griechen nach Griechenland und 400.000 Muslime, größtenteils aus den nördlichen griechischen Regionen wie Thrakien, aber auch von Inseln in der Ägäis, in die Türkei zwangsdeportiert. Die Odyssee war mit der Zwangsdeportation der Pontosgriechen nicht vorbei, da die Lebensumstände der fast 1,5 Millionen Vertriebenen unter den damals 5,5 Millionen Landsleuten innerhalb der Grenzen Griechenlands – insbesondere in den überfüllten Flüchtlingslagern durch sich rasch ausbreitende Epidemien – weitere Opfer forderten. Insgesamt war die Ansiedelung mit großen Problemen verbunden, was für viele Pontosgriechen zu jahrzehntelanger gesellschaftlicher Benachteiligung führte und manche sogar Opfer der Xenophobie der angestammten Griechen wurden.

Dem Schicksal des Heimatverlusts weist Heinemann die zentrale Botschaft seines Werkes zu. Da er einen persönlichen Bezug zu der Minderheitsgruppe der Pontosgriechen hat, erforschte er früh dieses Thema und betrieb intensive Recherchen. Seine Großmutter war selbst Pontierin und schaffte es mit 15 Jahren, über ein russisches Kriegsschiff Vertreibung und Mord zu entgehen. Nach dem Beschuß der Kleinstadt Ordu an der Schwarzmeerküste am Abend des 9. August 1917 durch die Artillerie russischer Kriegsschiffe  versuchten laut Heinemann viele der dort lebenden Griechen auf die Schiffe der russischen Marine zu kommen, um so dem Osmanischen Reich zu entkommen, da sie befürchteten, daß die Türken die Pontosgriechen als christlich-orthodoxe „Fünfte Kolonne“ für die Angriffe in Haft nehmen und sich wegen der russischen Offensive tödlich an ihnen rächen würden. Tatsächlich wurden jene Pontier, die es nicht schafften, mit den russischen Kriegsschiffen über das Schwarze Meer zu fliehen, danach vertrieben und zwangsislamisiert oder gleich ermordet. 

Am Ende lief es darauf hinaus, daß eine ursprünglich christlich geprägte Region, in der die „letzten Byzantiner“ zuvor jahrhundertelang lebten, durch zwei ganz unterschiedliche Beweggründe türkisiert bzw. islamisiert wurde. Denn ein dschihadistisches Motiv des damaligen Sultans, der nach einer Homogenisierung der muslimischen Bevölkerung strebte, hatte bei diesen ethnischen Säuberungen eine große Schnittmenge zu ähnlich gelagerten Plänen der Jungtürken, die einen nationalistischen Ansatz verfolgten. 

Mirko Heinemann: Die letzten Byzantiner. Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer Eine Spurensuche. Verlag Ch. Links, Berlin 2019, gebunden, 264 Seiten, Abbildungen, 25 Euro