© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Ein Nager, der viele reizt
Bauern, Biber und Biodiversität: Von Kanada bis Karelien sorgt Meister Bockert für Vielfalt und Ärger
Christoph Keller

Schon seine kompakte Gestalt, sein Dasein als lichtscheuer Burgherr, arbeitswütiger Holzfäller und Dämme-Bauer weist den Gesellen mit dem Fabelnamen Meister Bockert nicht eben als Sympathieträger aus. Landwirte, deren Felder und Wiesen der Biber unter Wasser setzte, Waldbesitzer, deren Baumbestände der Nager heimsuchte, waren daher nie gut auf ihn zu sprechen, so daß Jäger, die ihn seines Felles wegen an den Rand des Aussterbens schossen, kein schlechtes Gewissen plagte, beseitigten sie ja nur einen „Schädling“ und verdienten überdies noch Geld damit.

Renaturierung von Lebensräumen nötig

Doch überall, wo zwischen Kanada und Karelien Castor canadensis und Castor fiber, der Eurasische Biber, heimisch sind, steht das zur „ökologischen Schlüsselart“ avancierte Säugetier inzwischen unter Naturschutz. In Deutschland werden zwischen 5.000 Euro (Rheinland-Pfalz) und bis zu 65.000 Euro (Brandenburg) fällig, wenn ein genervter Bauer einen Biber fängt, verletzt oder tötet und dafür bei den Landesbehörden angezeigt wird. Würde der Landwirt bei dem Denunzianten handgreiflich, läge die Geldstrafe weit unter dem deutschen Biberfrevelschnitt von 50.000 Euro.

Gründe für den strengen Biberschutz liefert ein Autorenteam, das Studien aus 50 Jahren Forschung ausgewertet hat (Naturschutz und Landschaftsplanung, 3/19). Dafür hat sich eine bunte Truppe zusammengetan: Robert Sommer, Privatdozent für Zoologie in Rostock, Venja Ziarnetzky, Umweltingenieurin bei einem Baukonzern, der freiberuflich als Gutachter tätige Biologe Ulrich Meßlinger sowie Volker Zahner, Professor für Zoologie und Wildtierökologie an Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, der sich schon in seiner Dissertation (1997) mit dem Biber und dessen Einfluß auf Auenwälder beschäftigte.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Effekte, die der Biber als „Ökosystemingenieur“ auf seine Umwelt ausübt, hält das Autorenquartett für mittlerweile so „tiefgründig und umfangreich“, um sie über einen kleinen Expertenkreis hinaus in „gesellschaftliche Entscheidungen“ zu transferieren. Nur so sei das hohe Potential des Bibers zur Steigerung der Biodiversität europaweit für die Renaturierung von Lebensräumen zu nutzen. Natürlich gebe es auch problematische Aspekte, aber die positiven Auswirkungen, die der Biber auf die Artenvielfalt ausübt, überwiegen die negativen bei weitem.

Bei Dutzenden von Tiergruppen liegt die Erhöhung der Biodiversität auf Landschaftsebene (direkt beeinflußte und benachbarte Areale) bei bis zu 83 Prozent. Von 33 Studien, bei denen die Zu- und Abnahme der Artenzahl von Tieren oder Pflanzen ausschließlich in den vom Biber gestalteten Gebieten, also ohne benachbarte Referenzräume, eindeutig bewertet werden konnte, wurde in 25 Fällen (76 Prozent) eine Zunahme der Artenzahl festgestellt und nur in sieben Studien (21 Prozent) eine Abnahme.

In einer jüngeren, auf 89 Einzeluntersuchungen beruhenden Metaanalyse, die Zahner und seine Mitstreiter auswerten, werden anhand 16 verschiedener Indikatoren der aquatischen Umwelt in den Bereichen Hydromorphologie, Biogeochemie, Ökosystemfunktionalität und Biodiversität akribisch Effekte von Biberdämmen mit denen von künstlichen Dämmen verglichen. Daraus ergebe sich einwandfrei, welchen „einzigartigen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt“ von Fischen und Makroinvertebraten (wie Köcherfliegen und Libellen) Biberburgen auf Landschaftsebene leisten, während „ein signifikant negativer Effekt auf wandernde Fische nicht zu erwarten ist“.

Im Detail sei nachgewiesen, wie heterogen und hoch produktiv die „Biberteiche“ seien, die durch den Dammbau entstehen. Jedes dieser aufgestauten Biotope schaffe ökologische Nischen und Besiedlungsmöglichkeiten. Da durch die Überflutung Bäume in unterschiedlicher Dynamik absterben, reichert sich das Gewässerufer mit stehendem Totholz an, das als Reproduktionsstätte oder Rückzugsraum für Fische sehr bedeutsam ist.

Bibermanager für die Bestandserhaltung?

Auf dem Teichgrund wiederum setzt sich nährstoffreiche Feinerde ab, die Wasser- und Uferpflanzen aufnimmt und so Schlamm, organische Materialien und Nährstoffe (Phosphor und Stickstoff) dem Wasserkreislauf entzieht. Eine kanadische Studie belegt, daß in den Sedimenten von Biberteichen im Vergleich mit anderen Gewässern die tausendfache Menge an Stickstoff abgelagert wird. Die Biberdämme selbst erzeugen Sedimentrückhalte, die exquisite kiesige und steinige Laichhabitate sind.

In der Auflistung der Tierarten, deren Vielfalt der Biber erblühen läßt, ist so leicht kein Ende auszumachen. Am meisten profitieren Amphibien, Fische und jene Tiere, von denen manche mit bloßem Auge kaum zu sehen sind wie Rädertierchen, Wasserflöhe oder Ruderfußkrebse. Oder andere wie der Scharlachrote Plattkäfer (Cucujus cinnaberinus), die hochgradig gefährdet sind, deren Populationen sich nun aber, wie am Totholz bayerischer Biberteiche beobachtet wurde, stabilisieren. Punktuell ähnliche Entwicklungen zeigten sich in dem Biber-Bereich eines Mittelgebirgsbachs. Hier stieg das Libellenaufkommen um das Sechs- bis Zehnfache.

In den USA ist der ökologisch extrem anspruchsvolle Tagfalter Neonymphy mitchelli in den Feuchtgebieten North Carolinas sogar ausschließlich auf Bereiche beschränkt, wo durch die Aktivität des Bibers eine höhere Pflanzendiversität (57 zusätzliche Arten) existiert. Bei größeren Säugetieren wie Iltissen und Fledermäusen, bei Wasservögeln wie Krickenten oder seltenen Spechtarten, bei Echsen, Molchen, Fröschen, Schlangen, Schildkröten, bei Fischen wie Bachforelle und Elritze, überall laufe das gleiche Programm ab – für sie alle schaffen Biber geeignete Habitate, fördern ihre Bestandserhaltung, und zwar gerade die der gefährdeten Arten.

Als „Werkzeug“ für das Wassermanagement und Instrument zur Erreichung des vielzitierten „guten ökologischen Zustands“ kleiner und mittelgroßer Bäche, wie ihn die EU-Renaturierungsprojekte propagieren, eigne sich kein Tier besser als der Biber. Es sei daher höchste Zeit, das jetzt wissenschaftlich solide fundierte Wissen Bibermanagern, Naturschützern, Behörden, Gutachtern und Umweltpolitikern zu vermitteln. Würden so die positiven Effekte des Bibers für die Biodiversität besser kommuniziert, fänden Forschungsergebnisse nachhaltiger in die planerische Gestaltung von „semiaquatischen Ökosystemen“ Eingang.

Ob sich damit auch bibergeplagte Land- und Forstwirte überzeugen lassen? Bayern hat daher seit einigen Jahren wenigstens einen mit 450.000 Euro gefüllten Biberentschädigungsfonds. In den meisten anderen Bundesländern gibt es kaum einen Ausgleich für Biberschäden.

Fachbeitrag „Der Einfluß des Bibers auf die Artenvielfalt semiaquatischer Lebensräume“, in Naturschutz und Landschaftsplanung, 3/19: 

 www.nul-online.de

 bussgeldkatalog.org/tierschutz-biber





Bauern leiden unter Biberschäden

Die laut Deutschem Jagdverband mehr als tausend Wölfe in Deutschland sorgen für vierstellige jährliche Schadensfälle bei Nutztierhaltern (JF 17/19). Die Biberschäden bei Bauern und Forstwirten sorgen für weniger mediale Aufmerksamkeit, obwohl sich die wirtschaftlichen Gesamtverluste im Millionen-Euro-Bereich summieren. Dabei geht es nicht nur um angenagte oder gefällte Bäume, sondern auch um Dammbrüche und die Unterminierung von Nutzflächen durch Biberbauten, die im Extremfall zu Unfällen oder Todesfällen führen können. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil Az. 4 C 2.17) sprach Betroffenen nach langwierigen juristischen Verfahren zwar Entschädigung für von Biberbauten verursachte Überflutungen aus, doch die Landesbehörden wollen in der Regel oft weiterhin nicht zahlen. Robuste Selbsthilfe untersagen wie beim Wolf das Bundesnaturschutzgesetz, die Bundesartenschutzverordnung und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU sowie die strengen Landesjagdverordnungen. Die staatlich beauftragten Bibermanager setzen auf Umsiedlungen. Abschüsse werden selten erlaubt.