© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Befreit von der Natur
Satirischer Widerstand regt sich gegen zugepflasterte und vollbetonierte Gärten
Martina Meckelein

Der teutonische Vorgarten entwickelt sich zunehmend zu einem riesigen Baustofflager. In ihm sorgen Splitt, Schotter und bunter Rindenmulch – akkurat durch Betonrandsteine und verzinkte Beetkanten in ihre Schranken verwiesen – für Geradlinigkeit. Die wiederum erleichtert dem Mähroboter mit vierfacher Schnitthöhenverstellung die unfallfreie Fahrt über den zwei Quadratmeter großen Kunstrasen. Deutschlands Gärten werden zum Projekt „Naturbefreite Zone“. Kein Grashalm wächst dort mehr. Nicht weil saurer oder gar kein Regen fällt. Nein.

Sondern weil der deutsche Häuslebauer und Gartenbesitzer glaubt, daß so das Paradies auf Erden ausschauen sollte. Ob er überhaupt ahnt, daß sein Schottergarten-Projekt der „letzte Schrei“ der Artenvielfalt ist? Denn durch Abdeckfließ und Betonschüttung versickert kein Regenwasser. Durch solch verdichteten Boden beißt sich auch der kräftigste Löwenzahn nicht durch. Und wo kein Kraut mehr wächst, verhungert Biene, Hummel und Florfliege. Ihr Sterben ist der Preis für die Gewinnmaximierung der Baumärkte. Sie machen mit dem Schotter richtig – Schotter. Chapeau! Doch es regt sich Widerstand gegen diesen Trend zur Wüstenei.

Auf Facebook etablierte sich in kürzester Zeit eine Seite, die über 50.000 Follower hat. Ihr Name: „Gärten des Grauens“. Ihr Initiator: Ulf Soltau, Biologe. Die Seite sei „der Versuch, mit Mitteln des Humors und der Satire die konfektionierten Gartenwelten der Baumärkte, Discounter und GaLa-Bauer gesellschaftlich unmöglich zu machen“. Fotos sollen die „pittoresken Garten-Ungeheuer“ dokumentieren. Zu betrachten sind mehr als 50 Nuancen von Grau; anthrazitfarbene Straßenzüge in Neubaugebieten ohne eine einzige Pflanze. Mit blauen Glassteinen nachempfundene Swimmingpools. Mittendrin als Solitär: rotlackierte Strauchskelette. Selbst aus Balkonkästen sind Färberkamille, Quendel und Mauerpfeffer vertrieben. Kieselsteine breiten sich wie Angstschreie aus.

Artenreichtum: Ja bitte – nur tot muß es sein

Auf Artenreichtum mag jedoch auch der Schottergärtner nicht verzichten – nur tot muß es eben sein. Deshalb zieren metallene Schmetterlinge auf überlangen Spießen, Plaste-Igel oder grellbunt bemalte Beton-Pflanzen sein Beet. Basteln ist sein zweites Hobby, und das Internet ist voller putziger Anleitungen. Frei nach dem Motto „Beton – es kommt drauf an, was man draus macht“, modelliert zum Beispiel „Glitzer Else“ mittels Nylonstrümpfen ausgesprochen naturhaft wirkende Maronen-Röhrlinge und niedliche Hasenpopos, deren weiße Blumen sich keck in den Himmel strecken. Ordnung und Sauberkeit lassen Eigenheimbesitzer zu Schottergärtnern werden. Diese zu erhalten, brauen sie selbst Herbizide. Deren Bestandteile sind in jeder Küche zu finden: Wasser, Salz, Essigessenz und Spülmittel. Auf Youtube dokumentieren die Saubermänner das zweitägige Absterben des Löwenzahns und Sauerampfers durch ihr selbsthergestelltes Unkraut-Ex und werden dafür von ihren Followern enthusiastisch gefeiert.

Dieser mindestens als skurril zu bezeichnende Umgang mit der Natur ist kein rein deutsches Phänomen. Auch unsere Schweizer Nachbarn schottern. Eine umfangreiche Praktikumsarbeit der Uni Bern im Rahmen der Nachhaltigen Entwicklung (Evi Rothenbühler: „Schottergarten und Landschaft“) geht unter anderem der Frage nach, was für den Schottergarten spricht und kommt zum Ergebnis: Nichts. Er trage zur Versiegelung des Bodens und des Artensterbens bei, wirke sich negativ auf das Mikroklima und das Wohlbefinden der Bevölkerung aus. Teuer ist er auch.

Das ficht Überzeugungstäter nicht an. Seit einigen Jahren gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, nicht nur horizontal, sondern auch vertikal zu schottern, zu pflastern und zu betonieren. Den Gabionen – das sind mit Sand, Kiesel, Schotter gefüllte Drahtkäfige – sei Dank. Damit unterstreicht der stolze Gartenbesitzer nicht nur die Dreidimensionalität seiner Vorstellungskraft, sondern auch seine Umsetzungsstärke im Schanzenbau.

Neuerdings gelten Verwaltungen bei Schottergärtnern allerdings als Spaßbremsen. Wallanlagen dürfen in vielen Gemeinden nur noch die Höhe von einem Meter erreichen. Der Weser-Kurier berichtete am 7. April darüber hinaus, daß der rot-grüne Senat der Stadt Bremen im Mai ein Gesetz zur „Begrünung von Freiflächen“ verabschieden lassen will. Demnach sollen große Steinbeete verboten werden. Die Umweltminister mehrer Bundesländer wollen gar eine Aufklärungskampagne gegen Schottergärten starten.

In dem Film „Mein Onkel“ setzte sich Jacques Tati schon 1958 satirisch mit sterilen Wohn- und Gartenwelten auseinander. Eine zentrale Kulisse seines Oscar-prämierten Filmes, das Haus und der Vorgarten der Familie, steht in Frankreich im Museum. In Deutschland bräuchte Herr Tati keine Kulissen.