© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Knapp daneben
Qualitätstourismus
Karl Heinzen

Bislang bestritt Luc Claeys seinen Lebensunterhalt damit, debil blickende Touristen in Pferdekutschen durch das historische Zentrum von Gent fahren zu lassen. Nun macht die Stadtverwaltung der flämischen Metropole ihm einen Strich durch die Rechnung. Die seinem Kleinunternehmen erteilte Lizenz wird nicht verlängert. Mitte 2020 muß es den Betrieb einstellen. Sein Sachkapital kann Luc Claeys dann verkaufen oder schlachten. Pferdefleisch gilt in Flandern als eine Delikatesse. Allzu lange dürften ihn die Erlöse jedoch nicht über Wasser halten können. Einen Sozialplan hat sich die Stadt für den Mittfünfziger nicht ausgedacht. Anstatt einen Unternehmer zu bemitleiden, der lange Zeit das Kitschbedürfnis seiner Mitmenschen schamlos ausgenutzt hat, sollte man aber lieber die vernünftige Intention würdigen, die Gent mit dieser Maßnahme verfolgt. 

Kinder und Rentner spülen kaum Geld in die Kassen der Städte und sollten daher besser zu Hause bleiben.

Alle Städte und Landschaften, die auch nur im entferntesten irgend etwas zu bieten haben, das irgend jemand irgendwo als sehenswert ausgibt, sind heute heillos überlaufen. Zu allen Jahreszeiten gibt es bei jedem Wetter vor allen Attraktionen lange Schlangen. Selbst die Reichen haben unter diesen Bedingungen kaum noch eine Chance, sich ihren Freiraum zu erkaufen. Auf sie muß aber bauen, wer ein überlaufenes Reiseziel für Besucher und Einheimische wieder lebenswert machen will. Qualitätstourismus erfordert Hotels und Restaurants, die sich nur wenige leisten können, hohe Eintrittspreise für historische Gebäude und Museen sowie die Verbannung aller Geschäfte, die nicht ausschließlich Luxusartikel anbieten, in Einkaufszentren in den Neubaugebieten am Stadtrand. In einem solchen Konzept haben Kutschen genauso wenig zu suchen wie Fastfood-Ketten, Hostels und Supermärkte. Pferde machen Dreck und stinken. Sie degradieren ehrwürdige Städte zu Filmkulissen. Mit ihnen kann man vielleicht Kinder und Rentner bespaßen. Diese bringen aber kein Geld in die Kasse und sollten daher besser zu Hause bleiben. Wer billiges Vergnügen bietet, bekommt die Besucher, die sich auch nur solches leisten können. In Gent will man diesem Dilemma endlich entkommen.