© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

„Wir brauchen eine starke Fraktion“
Trotz Strache-Affäre und verhaltener Umfragewerte will AfD-Chef Jörg Meuthen seine Partei am Sonntag zum Erfolg führen. Doch erst dann wird es richtig ernst: Gelingt die Einigung der rechten Opposition in Straßburg, um die EU zu reformieren?
Moritz Schwarz

Herr Professor Meuthen, Sie kennen Heinz-Christian Strache persönlich, hätten Sie ihm das zugetraut?

Jörg Meuthen: Nein, denn so habe ich ihn wirklich nie kennengelernt. Und ich vermute, daß er auch selbst ehrlich entsetzt über sein alkoholseliges Reden ist.

Das Treffen auf Ibiza war allerdings vorbereitet, sein Vorschlag zur Medienmanipulation und Korruption also wohl keine Laune, sondern ernste Absicht.

Meuthen: Ja, und ich bedaure das sehr, möchte mich aber, was das Verurteilen  von Menschen angeht, zurückhalten – ich bin kein Freund des „Kreuzigt ihn!“ Strache hat einen schweren Fehler gemacht und sieht das auch ein. Er hat die Konsequenz gezogen und einen hohen Preis für sein Fehlverhalten bezahlt.  

Wie sehr schadet das Ihrem Wahlkampf?

Meuthen: Gar nicht, weil das alles mit der AfD nicht das geringste zu tun hat.

Medien und politischer Gegner versuchen allerdings, die Sache der ganzen rechtsalternativen Bewegung in Europa anzuhängen.

Meuthen: Ja, das tun sie, werden damit aber keinen Erfolg haben.

Erfahrungsgemäß bleibt immer etwas hängen – was macht Sie da also so sicher?

Meuthen: Weil ich glaube, daß die Wähler, die wir erreichen, sich von so etwas nicht täuschen lassen. 

Bringt der Fall Ihre geplante Fraktion der Rechten im EU-Parlament in Gefahr?

Meuthen: Nein, das sehe ich nicht.

Dort werden Sie allerdings an der Seite der AfD eine starke FPÖ brauchen, die nun aber Wahleinbußen erleben könnte. Etwa um sich in der Euro-Frage gegenüber Italienern und Franzosen zu behaupten.

Meuthen: Natürlich werden wir nicht bei allen Themen mit allen künftigen Partnern in der Fraktion einer Meinung sein können. Wie sich die Lage diesbezüglich tatsächlich darstellen wird, können wir aber erst nach der Wahl wissen – vorher ist das Kaffeesatzleserei.  

Kann Ihre gemeinsame Fraktion mit Matteo Salvinis Lega und dem Rassemblement National (RN), wie der Front National inzwischen heißt, überhaupt funktionieren?

Jörg Meuthen: Sicher, warum nicht?

Weil die nicht nur beim Euro, sondern auch etwa bei der Migranten-Verteilung oder der Wirtschaftspolitik Vorstellungen haben, die Deutschland schwer schaden würden.

Meuthen: Nochmal, daß es zwischen verbündeten Parteien auch Interessengegensätze gibt, ist normal. Das ist selbst in der Regierungskoalition in Berlin so.

Sie werden in dieser Fraktion etwa auf Ihre Euro-Politik verzichten müssen – wegen der allerdings die AfD gegründet wurde.

Meuthen: Nein, worum es geht, ist die Übereinstimmung mit unseren künftigen Fraktionspartnern etwa in der Migrations- oder Europapolitik: also Demokratie und nationale Identität erhalten, die „Vereinigten Staaten von Europa“ verhindern, Rückbau des Brüsseler Molochs sowie Schutz Europas durch wirksame Restriktion der Einwanderung.

Das EU-Parlament hat jedoch schon viele rechte Fraktionen kommen und gehen gesehen. Was gibt Ihnen die Zuversicht, daß nicht auch Ihre zerfallen wird?

Meuthen: Bei allen Verhandlungspartnern habe ich den festen Willen gespürt, der fatalen Politik der Etablierten Einhalt zu bieten, was nur gemeinsam geht.

Schöne Worte, aber ist das etwa alles?

Meuthen: Sicherheit gibt es in der Politik nie. Aber uns ist bewußt, wie sehr die Wähler erwarten, daß wir Erfolg haben. 

Beteiligen wollen sich außer AfD, Lega und RN: FPÖ, Dänische Volkspartei, Die Finnen, Vlaams Belang und Gert Wilders PVV. Mit wem rechnen Sie noch?

Meuthen: Bis jetzt haben zudem die slowakische Partei Sme Rodina und die estnische EKRE fest zugesagt und weitere stehen ante portas. Aber zuverlässig kann ich Ihnen das erst Mitte Juni sagen, weil das auch vom Wahlausgang und den Verhandlungen danach abhängt. Es werden wohl mindestens zwölf, vermutlich aber deutlich mehr Parteien sein.

Lega-Chef Salvini will sogar alle Rechtsparteien in der Fraktion vereinen.

Meuthen: Das ist das Ziel – wird aber nach meiner Einschätzung nicht in einem Zug gelingen. Die polnische PiS etwa will in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) bleiben. Ich hoffe aber, daß wir die Zahl der rechten Fraktionen von jetzt drei auf zwei – die EKR und uns – reduzieren. Bedeutsam ist hier das Verhalten der Brexit Party, die von Nigel Farage, der die Ukip ja verlassen hat, erst im Januar gegründet wurde. Ebenso wie die ungarische Fidesz. Zwar hat Viktor Orban erklärt, in der christdemokratischen EVP-Fraktion bleiben zu wollen, doch kann ich mir das kaum vorstellen, angesichts der Verbreitung linksgrüner Ideen dort.

Sie haben angekündigt, zweitgrößte Fraktion in Straßburg werden zu wollen. Nun ist nur noch von der viertgrößten die Rede.

Meuthen: Ich hatte gesagt, daß dies möglich ist. Eine Prognose war das aber nicht, da spielen zu viele Faktoren mit.   

Wer wird die Fraktion führen?

Meuthen: Auch das läßt sich erst beantworten, wenn sie steht.

Für den Vorsitz ausgeschlossen haben Sie die Abgeordneten der AfD. Warum?

Meuthen: Nein, das habe ich nicht, ich habe nur gesagt, daß ich glaube, es könnte besser sein, würden wir da kleinere Parteien zum Zuge kommen lassen. Entscheiden wird darüber aber allein die Fraktion.

Am Sonntag sind bis zu 35 Prozent für die Brexit Party möglich, über dreißig für die Lega und über zwanzig für den RN – die alle stärkste Kraft in ihren Ländern werden könnten. Die AfD steht nur bei zehn bis 13 Prozent und auf Platz vier. Warum?

Meuthen: Ich rate, gelassen abzuwarten. Ich traue diesen Umfragen nur bedingt.

Bei der Bundestags- und EU-Wahl 2014 erwiesen sich die Umfragen als zutreffend.

Meuthen: Das wäre, wenn es so einträfe ein Zugewinn von drei bis sechs Prozent gegenüber 2014, wo wir 7,1 Prozent erzielt haben, und ein beachtlicher Erfolg.

Bei EU-Wahlen erhalten alternative Parteien meist mehr Stimmen, weil die Wähler experimentierfreudig sind. Wäre also selbst ein Ergebnis von „nur“ 13 Prozent – angesichts von 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl – da nicht eine Enttäuschung?

Meuthen: Nein, bedenken Sie zum Beispiel, daß es bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, es werden also absehbar auch einige Kleinparteien einziehen, so sie genug Stimmen, etwa knapp ein Prozent, für einen Sitz erzielen.

Seit die AfD im Reichstag sitzt, steht ihr die größte Bühne der Politik zur Verfügung. Legt sie dennoch am Sonntag nicht zu, stellt sich dann nicht die Frage, ob die Bundestagsfraktion schlechte Arbeit geleistet hat?

Meuthen: Es besteht kein Zweifel, daß die Bundestagsfraktion sogar sehr gute Arbeit macht! Doch keine Partei legt immer nur zu. Wir erleben derzeit eine Seitwärtsbewegung in der Wählergunst, also eine Konsolidierungsphase, was ganz normal auch für wachsende Parteien ist.

Verantwortung für die „Seitwärtsbewegung“ bei sich selbst sehen Sie nicht?

Meuthen: Es belasten uns sicher einige interne Streitereien in diversen Landesverbänden, wie in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg oder in Bayern, die dann auch öffentlich wurden. Das müssen wir überwinden.

Was ist mit dem Spendenskandal, von dem immerhin der Spitzenkandidat, also Sie, sowie die Nummer zwei Ihrer Europawahlliste, Guido Reil, betroffen sind?

Meuthen: Der spielt keine große Rolle, denn im Wahlkampf erlebe ich, daß die Leute inzwischen durchschauen, wie sehr das Thema künstlich zum Skandal aufgebauscht worden ist.

Aber ist die Affäre, ausgerechnet für eine Partei, die versprochen hat, es besser zu machen, nicht moralisch vernichtend? Zumal das nun an Strache erinnern könnte.

Meuthen: Nein, mit Strache hat das nichts zu tun. Da ist wirklich rein gar nichts vergleichbar – übrigens ebensowenig wie mit dem CDU-Spendenskandal. Denn bei uns hat niemand wirkliches Unrecht getan, es gab auch keine schwarzen Kassen, Schubladen, Geldkoffer und so weiter, wie bei der CDU. 

Mancher meint, Ursache der Umfragewerte sei, daß AfD-Themen derzeit keine Konjunktur haben. Haben Sie es versäumt, die Partei umfassender zu positionieren?

Meuthen: Ganz sicher nicht – nur wird das in den Medien gern falsch dargestellt. Bestes Beispiel: das Thema, das derzeit wohl am meisten Konjunktur hat, ist Klimaschutz. Wir sagen dazu klar: Im Kern geht es dabei um eine vernünftige Energiepolitik und darum, daß hier massiv und sinnlos Hysterie geschürt wird. Ich rede unablässig dazu, doch wird das medial gern unterschlagen. Statt dessen werden völlig zu Unrecht die Grünen ständig mit dem Thema in Verbindung gebracht. Dabei haben die dazu das schlechteste Politikangebot.

Warum?

Meuthen: Weil sie die entscheidenden Aspekte der sogenannten Klimarettungspolitik – Dekarbonisierung, Kernenergie und erneuerbare Energien – rein ideologisch angehen und so komplett kontraproduktiv wirken. Etwa indem sie nicht nur Diesel, sondern alle Kraftstoffautos verbieten wollen, zugunsten von E-Autos, die unterm Strich eine schlechtere Ökobilanz haben als etwa moderne Euro-6-Diesel. Oder indem sie ernsthaft behaupten, Windkraft sei eine sinnvolle Lösung für den Energiebedarf einer modernen Industriegesellschaft.

Trotzdem drohen die Grünen Ihnen am Sonntag die Schau zu stehlen, wenn sie statt der AfD zum Sieger erklärt werden.

Meuthen: Das werden die Medien wohl so machen, weil, wie Sie wissen, die Mehrheit der „Medienschaffenden“ nun mal mit den Grünen sympathisiert. Ich sage Ihnen aber voraus, daß die Grünen sich früher oder später gewaltig entzaubern werden, weil die Bürger irgendwann deren faktenbefreiten Unsinn durchschauen. Leider aber wird das – zu unser aller Nachteil – noch etwas dauern.

Sie werfen den Grünen Irrationalität vor, weil sie in puncto menschengemachter Klimawandel der Mehrheit der Wissenschaftler folgen. Doch wie rational ist es, deren Minderheit oder der AfD, die keine naturwissenschaftliche Expertise hat, zu folgen?

Meuthen: Moment, auch wir wissen hier nicht gesichert, wie es sich wissenschaftlich verhält. Was wir kritisieren ist aber genau diese Anmaßung der anderen Parteien, die gegenüber den Bürgern so tun, als wüßten sie, was sie eben nicht wissen. Und darauf dann eine Bewegung aufbauen, die quasireligiöse Züge hat.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie nun am 26. Mai?

Meuthen: Auch hier gebe ich keine Prognose ab, da das unseriös wäre. Aber sicher wird das Ergebnis deutlich zweistellig sein.

Und wenn nicht?

Meuthen: Dann kämen wir auch damit klar, müßten aber um so gründlicher die Ursachen erforschen.

Stünden Sie dann als Parteichef in Frage?

Meuthen: Wenn ich mir über etwas derzeit keine Gedanken mache, dann darüber.

Der Gegner wirft Ihnen vor, in ein Parlament gewählt werden zu wollen, das Sie abschaffen möchten. Ist da nicht was dran?

Meuthen: Nein, und das wissen unsere Gegner auch. Denn wer etwas verändern will, muß nun mal dorthin gehen, wo die Entscheidungen getroffen werden. 

Aber ist das Parlament als Vertretung der Bürger nicht noch der beste Teil der EU – und gerade den wollen Sie abschaffen?

Meuthen: Genau so wird das den Leuten immer verkauft – nur stimmt das nicht! In der Realität, die ich aus eigenem Erleben bestens kenne, wirkt das Parlament eben nicht als „Vertretung der Bürger“, sondern als Erfüllungsgehilfe der EU-Kommission – weil dort nämlich überwiegend die gleichen Eurokraten sitzen. Die kennen nur eines: Vergemeinschaften! Vergemeinschaften! Vergemeinschaften! Weil das ihre Bedeutung erhöht. Ob es auch im Sinne der Bürger ist, wird gar nicht gefragt. Überhaupt sind über das Parlament viele falsche Vorstellungen im Umlauf.

Zum Beispiel?

Meuthen: Etwa, es sorge für mehr Bürgernähe – auch hier ist das Gegenteil richtig. Denn die meisten Entscheidungen, über die es abstimmt, wurden den nationalen Parlamenten entzogen. Aber: Wie nah ist das Europaparlament den Bürgern – im Vergleich zu deren nationalen Parlamenten? Beziehungsweise, wie nah sind die 512 Millionen EU-Bürger dem Europaparlament? Fazit: Dieses Parlament steht für die drastische Entfernung der Politik von den Bürgern. 

Aber das Parlament demokratisiert doch die EU. 

Meuthen: Wider falsch: Da es nach Nationen bestückt wird repräsentiere ich etwa 854.000 deutsche Bürger – ein Abgeordneter aus Luxemburg dagegen 83.000 seiner Landsleute. Da wir beide aber jeweils nur eine Stimme im Parlament haben, hat also die Stimme eines deutschen Wählers am 26. Mai nur ein Zehntel des politischen Gewichts, das die Stimme eines luxemburgischen Wählers hat. Das kann man in dieser krassen Form nicht mit Minderheitenschutz erklären, das ist einfach nur undemokratisch. 

Sie versprechen, dem durch Reformen zu begegnen. Wie sollen die aussehen?

Meuthen: Wir wollen zurück zum Gründungsgedanken der EU, der eine gute und zielführende Idee war – nämlich Kooperation und gute Nachbarschaft sowie Zuständigkeit für die Aufgaben, die tatsächlich national nicht zu lösen sind. Dazu bedarf es des Rates und einer – deutlich verschlankten – Kommission, die die Arbeit der EU leitet. Nicht aber eines Parlaments, das nur nötig ist, wenn man einen Superstaat, also die Vereinigten Staaten von Europa schaffen will. Zudem steht der Rat für die ursprüngliche Konzeption der EU als Europa der Vaterländer – das übrigens vor Einführung des Parlaments 1979 prima funktioniert hat!

Etliche Bürger, die sich eine Reform wünschen, verschreckt allerdings Ihre Forderung nach einem Dexit.

Meuthen: Falsch, diese wird uns von den Etablierten nur ständig unterstellt. Wir wollen eine umfassende Reformierung, nicht den Dexit – der ist nur die letzte Option, sollte die Reformierung final scheitern.

Wie schlau war es dann, Ihren Gegnern mit der Dexit-Option den Ball auf den propagandistischen „Elfmeterpunkt“ zu legen?

Meuthen: Aus Sicht des Wahlkämpfers war das vielleicht keine gute Idee, weil ich erlebe, wie dieser Punkt doch einige Leute verunsichert. Allerdings ist er als Drohkulisse zur Durchsetzung der Reform von Vorteil. Ich kann Ihnen aber versichern, solange Aussicht auf eine Reform besteht, sind die originären Dexit-Anhänger in der AfD eine kleine Minderheit. Um so wichtiger ist es, die Reformierung  der EU endlich anzustoßen. Das wird gehen, wenn es uns gelingt, mit einer starken und kraftvollen neuen Fraktion im EU-Parlament den Hebel entschlossen umzulegen. Darum ist diese Wahl so wichtig.    






Prof. Dr. Jörg Meuthen, ist (mit Alexander Gauland) Bundessprecher der AfD sowie Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Vizevorsitzender der EU-kritischen Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD). Geboren wurde der Ökonom 1961 in Essen.

Foto: Spitzenkandidat Meuthen: „Das EU-Parlament ist eben nicht die ‘Vertretung der Bürger‘, sondern der Erfüllungsgehilfe der Kommission. Dort sitzen nämlich überwiegend die gleichen Eurokraten, die nur eines kennen: Vergemeinschaften! Vergemeinschaften! Vergemeinschaften! Weil das ihre Bedeutung erhöht. Ob das auch im Sinne der Bürger ist, wird gar nicht gefragt“ 

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