© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Das Treuhand-Trauma
30 Jahre danach: Links wie rechts fordern Politiker einen Untersuchungsausschuß
Jörg Kürschner

Wenige Monate vor drei Landtagswahlen im Osten der Republik hat die Politik die Treuhandanstalt (THA) der Nachwendezeit aus der Versenkung befördert und deren Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuß des Bundestages gefordert. So wenig wahrscheinlich dessen Einsetzung auch ist, so beharrlich wird die Strategie verfolgt, die angebliche Ausverkaufsanstalt zum Wahlkampfthema zu machen. Nachdem der SPD-Ostbeauftragte Martin Dulig bereits im vergangenen Herbst eine „Wahrheits- oder Versöhnungskommission“ ins Gespräch gebracht hatte, hat die Linksfraktion jetzt Nägel mit Köpfen gemacht. Die SED-Nachfolger verlangten im Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der sich ein Gesamtbild über die Arbeit der Treuhand verschaffen soll. 

„Wahlkampf auf Basis eines Betroffenheitspopulismus“

„Das Wirken der Treuhandanstalt sei von politischen und wirtschaftlichen Skandalen und bis in die Gegenwart reichenden Folgen begleitet“, die nicht ausreichend aufgeklärt worden seien, heißt es unter anderem in dem Antrag. Während Union und FDP ablehnend reagierten, die Grünen sich zu Gesprächen mit der Linken bereit erklärten, signalisierte die AfD Zustimmung. „Die Folgen der Treuhandanstalt bleiben im Osten ein Trauma. Es sind damals zu viele Fehler passiert, als daß man nicht noch einmal darüber reden sollte und Verantwortliche vorlädt“, sagte AfD-Fraktions- und Parteichef Alexander Gauland. Damit entsprach der Parteipatriarch dem Verlangen zahlreicher ostdeutscher AfD-Politiker, etwa des Thüringer Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl. Der ostpolitische Sprecher der Fraktion spricht von Treuhand-Machenschaften als „Wurzel allen Übels. Seither begleitet uns das ungute Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein“.

AfD-Politiker Frank-Christian Hansel widerspricht Gauland energisch. „Bitte nicht der allzu einfachen Versuchung aus Thüringen erliegen, auf diese falsche Sache draufzuspringen. Das wäre, nein, ist ein fatales und falsches Zeichen“, positioniert sich der Parlamentsgeschäftsführer im Berliner Abgeordnetenhaus. Wer in Wahlkämpfen der ostdeutschen Landesverbände auf Basis eines primitiven Betroffenheitspopulismus erfolgreich für sich Stimmung zu machen versuche, versündige sich an dem Gebot der historischen Redlichkeit und verspiele politische Glaubwürdigkeit. „Das kann und darf nicht der Weg der AfD sein“, so der Mitbegründer der „Alternativen Mitte“ gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 

Zur historischen Redlichkeit gehört sicher auch der Befund des damaligen Leiters der Staatlichen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, der Staats- und Parteichef Erich Honecker seit Mitte der siebziger Jahre vor der steigenden Verschuldung des Landes gewarnt hatte. Vergebens. Auf die Frage , ob die DDR 1989 eine wirtschaftliche Überlebenschance gehabt habe, antwortete Schürer zehn Jahre später in einem Interview: „Nein, unsere Nettoverschuldung von 25 Milliarden West-Mark hätten wir auf Dauer nicht bedienen können“. Zu den Ursachen der mangelhaften wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zählte Schürer den katastrophalen Zustand der Produktionsanlagen. In dem von ihm verfaßten Bericht („Schürer-Papier“) an das SED-Politbüro heißt es unter anderem: „In bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft sind die Ausrüstungen stark verschlissen, woraus sich ein überhöhter und ökonomisch uneffektiver Instandhaltungs- und Reparaturbedarf ergibt. Darin liegt auch eine Ursache, daß der Anteil der Beschäftigten mit manueller Tätigkeit in der Industrie seit 1980 nicht gesunken ist, sondern mit 40 Prozent etwa gleich blieb.“ Mit anderen Worten, die DDR war pleite.

Diese Einschätzung bestätigt auch Henry Bren d’Amour, Direktor des Bonner Treuhandbüros in den neunziger Jahren. „Die Treuhandanstalt hatte die Aufgabe, nicht wettbewerbsfähige Betriebe zu privatisieren. Das war 1991 im Bundestagsuntersuchungsausschuß allen Parteien bewußt, selbst der PDS. Einer Deindustrialisierung versuchte man entgegenzuwirken: Die Werftindustrie wurde mit über 700.000 DM/Arbeitsplatz am Leben erhalten, obwohl es kein Konzept gegen den Wettbewerb aus Asien gab. Im Chemiedreieck Buna-Leuna-Bitterfeld gelang die Transformation hingegen vorbildlich.“ Daß in den Umbruchjahren auch Dinge falsch liefen, etwa durch Ost-West-Seilschaften oder Verwaltungsversagen, schmälere nicht die Erfolgsbilanz, betonte Bren d’Amour gegenüber dieser Zeitung. Die Forderung nach einem weiteren Untersuchungsausschuß sei ein „Ablenkungsmanöver“. 

Das „Treuhand-Trauma“, das die Linke in Ostdeutschland ausgemacht haben will, hat allerdings nur geringe Chancen, in einem Untersuchungsausschuß debattiert zu werden. Denn die notwendige Mehrheit von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten käme nur zustande, wenn Linke, Grüne und AfD einvernehmlich für eine Einsetzung stimmen würden. Das aber gilt als ausgeschlossen. CDU/CSU und FDP lehnen einen Ausschuß klar ab, in der SPD-Bundestagsfraktion wird auf die Überlegungen von Sachsens Wirtschaftsminister Dulig verwiesen, das Thema Treuhand außerhalb des Parlaments zu behandeln. Die von Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch angekündigten Gespräche mit den anderen Fraktionen – außer der AfD – dürften daher im Sande verlaufen.