© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Abwehrkräfte aus dem Alten Land
Außenpolitik: Protest gegen Taiwans Ausschluß von der Weltgesundheitsversammlung in Genf
Christian Dorn

Jhy-Wey Shieh inszeniert einen Sketch vor dem Brandenburger Tor: „Da drüben hinter der Mauer liegt Taiwan, isoliert und ausgeschlossen.“ So machten die Viren „Grenzerfahrungen“, was für „Viren verwirrend“ sei, denn: „Viren kennen keine Grenzen.“ Diese Erkenntnis ist zugleich Motiv von Taiwans Botschafter, mit dem er die von Peking betriebene abermalige Ausgrenzung der „Republik China“, so der offizielle Name seines Landes, von der Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf angeprangert wird, die bis zum 28. Mai tagt.

„Abtrünnige Provinz“

Dies scheint auch deshalb notwendig, weil es für die Öffentlichkeit in Deutschland kein Thema ist. Stattdessen überbieten sich die Medien von ARD bis Zeit zur selben Zeit mit Meldungen über die Parlamentsentscheidung in Taipeh zur weitgehenden Gleichstellung homosexueller Paare. Gilt doch Taiwan damit als das erste Land Asiens, das die „Ehe für alle“ eingeführt hat – allerdings mit eingeschränktem Adoptionsrecht. Entsprechend verklausuliert reagieren die Medien der KP-regierten Volksrepublik China, nennen diese Taiwan doch „abtrünnige Provinz“, weshalb der demokratische Musterstaat „hinter der Mauer“ in den betreffenden Meldungen als „die erste Region in Asien“ firmierte. 

Tatsächlich ist die Ausgrenzung Taiwans eine Frage von Leben und Tod, wie die SARS-Epidemie 2003 bewies, als Taiwan wegen zu später Warnung über 80 Todesfälle verzeichnete. Dabei leistet die 23,5-Millionen-Insel, die durch die Formosa-Straße vom Festland getrennt ist, maßgebliche Beiträge zur Gesundheitsvorsorge und zur Bekämpfung von Seuchen und Epidemien, so der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, Vorsitzender der deutsch-taiwanesischen Parlamentariergruppe, die – aus Rücksicht auf Peking – unter der Bezeichnung „Berlin-Taipeh“ läuft. Begleitet wurde Willsch von weiteren CDU-Bundestagsabgeordneten wie Anita Schäfer (Freunde Taiwans) und Hans-Jürgen Irmer oder Hermann Otto Solms (FDP), dem Alterspräsidenten des Bundestages. Explizite Kritik übte Willschs Fraktionskollege Axel Fischer (Deutschland-Chef der World League for Freedom and Democracy), der es bei dem Protestzug vergangener Woche einen „Skandal, eine Schweinerei“ nennt, daß Taiwans Mitgliedschaft in der WHO blockiert wird – widerspricht doch diese Praxis ganz offen dem UN-Ziel einer globalen Gesundheitsversorgung.

Dabei lassen sich die Leistungen des Gesundheitswesens in Taiwan sehen, ist doch Asiens „Leuchtturm der Demokratie“ (Willsch) in etlichen Parametern besser aufgestellt, nicht nur bei der Impfquote. So gilt Taiwans Krankenversicherungssystem als eines der besten weltweit: 2017 belegte es beim „Global Access to Healthcare Index“ des Economist Platz 14, und im vergangenen Jahr beim „Health Care Efficiency Index“ von Bloomberg Finance Platz 9. Das WHO-Ziel einer allgemeinen Krankenversicherung ist hier schon längst realisiert. 

Zudem gehörte Taiwan zu den ersten acht Ländern, die die von der WHO 2005 erlassenen internationalen Gesundheitsvorschriften umsetzten. Maßstäbe setzt es in der Organverpflanzung: Die Erfolgsquote bei Lebertransplantationen liegt über jener der USA, Europas und Japans; auch die erste erfolgreiche Herzübertragung in Asien erfolgte in Taiwan. Die Erfolgsquote in der Reproduktionsmedizin ist vergleichbar mit den USA. Dennoch liegt der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt (BIP von 2017) mit nur 6,4 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt. In Deutschland war der entsprechende Anteil 2017 fast doppelt so hoch. Gleiches gilt für die finanzielle Belastung pro Kopf mit etwa drei Prozent (Deutschland: knapp sechs Prozent). Mitentscheidend für die kostensparende Entwicklung der flächendeckenden Gesundheitsversorung ist das Cloud Computing, das einen landesweiten Zugriff der Gesundheitsdienstleister auf die Patientenakten ermöglicht. 

Ein solcher Prozeß optimierter Datenverarbeitung ist natürlich etwas ganz anderes als die von Pekings Parteiführung betriebene Installierung eines „Sozialkreditsystems“, das bis 2020 einsatzbereit sein soll. Dies macht im exklusiven JF-Gespräch Taiwans Botschafter Shieh deutlich, der ähnliches noch aus der Zeit des Kriegsrechts kennt, das in Taiwan erst 1987 außer Kraft gesetzt wurde. Sein lakonischer Kommentar: „Wenn du kein schlechtes Gewissen hast, ist es auch kein Problem, wenn der Staat das kontrollieren kann.“

Dabei unterwirft sich selbst die EU – seit dem Kotau Brüssels Mitte der achtziger Jahre – der Kontrolle Pekings: Seither dürfen die höchsten Repräsentanten Taiwans (Präsident, Vize-Präsident, Premier-, Verteidigungs- und Außenmister, Parlamentspräsident und der Präsident des Obersten Gerichts) keinen EU-Boden betreten. „Wenn ich Außenminister wäre“, ergänzt der in Deutschland promovierte Germanist Shieh, „müßte ich morgen meine Koffer packen.“ Bei den Vereinten Nationen ist es nicht besser: Selbst in die UN-Zentrale in New York haben Journalisten mit taiwanesischem Paß, anders als etwa Palästinenser, keinen Zutritt. Dabei war Taiwan bis 1971 – als US-Präsident Richard Nixon die Seiten wechselte – sogar Mitglied des UN-Sicherheitsrates.

Hoffnung auf Donald Trump

Allerdings habe sich unter Donald Trump das Verhältnis zu Washington deutlich verbessert. Dabei gebe es erstaunlicherweise einen parteiübergreifenden Konsens, Taiwan zu unterstützen, der bei den US-Demokraten auf die „soft power“ gründe („Ehe für alle“, „grüne Energie“, „Transitional Justice“), einen erklärten Bestandteil der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). In Anlehnung an den 1979 verabschiedeten „Taiwan-Relations-Act“, der die militärische Hilfe Taiwans durch die USA gewährleistet, sei der unter Trump verabschiedete „Taiwan-Travel-Act“ von kaum zu überschätzender Wirkung, was die wütenden Reaktionen Pekings erkläre.

So erlaubt das Reisegesetz nicht nur den gegenseitigen Besuch hochrangigster Poliker beider Länder, sondern plädiert explizit dafür, was fast einer diplomatischen Anerkennung gleichkomme. Da bekanntlich die Hoffnung zuletzt stirbt, ist hier – mit Blick auf das WHO-Ziel – an das Sprichwort „An appel a day keeps the doctor away!“ zu erinnern: So exportiert das Alte Land seit den Rußland-Saktionen seine Äpfel nach Taiwan.

World League for Freedom and Democracy:

 wlfdroc.org.tw

 www.dcg-freunde-taiwans.de