© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Sollte die Soziale Marktwirtschaft ins Grundgesetz kommen?
Kampfmittel für beide Seiten
Dirk Meyer

Die Soziale Marktwirtschaft ist gefährdet – allerdings weniger durch den Juso-Chef Kevin Kühnert, dessen Verstaatlichungsphantasien laut einer Civey-Umfrage von 23 Prozent der Befragten als eher positiv gesehen werden. Es ist vielmehr ein Breitbandgift, das der Monokultur einer zentralistischen Staatswirtschaft schleichend zum Durchbruch verhilft: Zentralisierungsbestrebungen der EU mit eigenem Haushalt und Finanzminister, eine Innovationslenkung im Rahmen einer „Nationalen Industriestrategie 2030“ (JF 21/19).

Hinzu kommt die Einflußnahme des Bundes durch Neuverteilung von Kompetenzen anläßlich des Digitalpaktes Schule, die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen und der „Respektrente“ bis hin zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Das Gleichgewicht von Wettbewerb, Leistungsgerechtigkeit und sozialem Ausgleich steht in Frage. Ulrich van Suntum, Volkswirtschaftsprofessor aus Münster, hat deshalb die Petition „Soziale Marktwirtschaft ins Grundgesetz!“ gestartet. Die Möglichkeit der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz soll gestrichen und ersetzt werden durch: „Bund, Länder und Kommunen sind in ihren wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet.“

Was wäre gewonnen? Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 1954 die wirtschaftliche Neutralität der Verfassung festgestellt. Allerdings ist unsere Wirtschaftsordnung umzäunt – einerseits durch die Freiheits- und Abwehrrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Niederlassungsfreiheit, der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie dem Schutz des privaten Eigentums und des Erbrechts, andererseits durch das Sozialstaatsgebot. Damit ist die Soziale Marktwirtschaft in der Werteordnung des Grundgesetzes angelegt und eine sozialistische Staatswirtschaft ausgeschlossen.

Darüber hinaus ist die Soziale Marktwirtschaft in Artikel 3 des EU-Vertrags als höherrangiges Recht festgezurrt. Eine Aufnahme hätte lediglich deklaratorischen Charakter und es bestände die Gefahr, daß „Soziale Marktwirtschaft“ ein Rechtsbegriff würde, dessen Deutungshoheit an Juristen ginge. „Wer Verfassungsrecht sät, wird Verfassungsrecht ernten“, lautet ein geflügelter Spruch. Er würde zum Kampfmittel für beide Seiten gegen wirtschaftsrelevante Gesetze. Zudem bietet die Möglichkeit der Vergesellschaftung eine Vorkehrung für Eventualitäten, etwa die Verstaatlichung einer Bank, um die Folgen für den Steuerzahler zu begrenzen. Übrigens zählt auch der Autor zu den Petitionsunterstützern – aber aus Gründen der öffentlichen Bewußtmachung.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

 openpetition.de/