© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Bald offen für die ganze Welt
Arbeitsmarkt: Während die EU nur hochqualifizierte Einwanderung fördert, setzt Deutschland auf Billigkräfte
Claudia Bach

In der EU sind derzeit 15,9 Millionen Arbeitslose registriert. Dramatisch ist die Lage in Spanien, wo 3,2 Millionen – 14 Prozent der Erwerbsfähigen – ohne Stelle sind. In Frankreich und Italien sind es je 2,6 Millionen. Griechenland zählt 873.000 Stellensuchende – woraus sich eine Rekordarbeitslosenquote von 18,5 Prozent ergibt. Etwa 14 Prozent der 227 Millionen Beschäftigten in der EU haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Dank EU-Binnenmarkt könnte die über Arbeitskräftemangel klagende deutsche Wirtschaft problemlos auf dieses Reservoir zurückgreifen.

Harte Konkurrenz für arbeitslose EU-Bürger

Hinzu kommen etwa 1,6 Millionen Einwanderer, die seit 2015 einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben. Die Mehrzahl von ihnen ist im Erwerbsalter, und diverse Gesetzesnovellen erlauben eine Beschäftigung. Sollten sich darunter keine Spitzenkräfte finden, gibt es seit 2011 EU-weit eine „Blue Card“ (Richtlinie 2009/50/EG), die Drittstaatlern aus aller Welt den Arbeitsaufenthalt ermöglicht. Dennoch will die Bundesregierung mit ihrem Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Wirtschaft ab 2020 zusätzlich den globalen Billigarbeitsmarkt eröffnen: Die kostspieligen Blue-Card-Einschränkungen (Hochschulabschluß, Bruttojahresgehalt von 41.808 Euro, Vorlage eines Arbeitsvertrages) entfallen. Zudem wird nicht mehr gefragt, ob nicht ein arbeitsloser EU-Bürger die ausgeschriebene Stelle besetzen könnte.

Ob so Fachkräfte gewonnen oder eher die Einwanderung in die Sozialsysteme forciert wird, ist umstritten. Denn im Kleinen wurde dies schon getestet: Seit 2016 können Bürger aus Albanien, Bosnien-Herzegovina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien für alle Berufe, Ausbildungen und Helfertätigkeiten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten – selbst wenn sie keine Ausbildung haben oder ihre berufliche Qualifikation nicht anerkannt ist. Lediglich das Leiharbeitsgewerbe ist davon ausgenommen. Daher hatten 2018 schon 266.000 Nicht-EU-Bürger einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Erwerbstätigkeit inne – die meisten stammten aus den sechs genannten Westbalkanländern. Ein Jahr zuvor waren es nur 217.000 gewesen. Via EU-Blue-Card kamen weit weniger: So besaßen voriges Jahr beispielsweise 24.900 Inder eine Arbeitserlaubnis – immerhin 22 Prozent mehr als 2017.

Doch während bei der EU-Blue-Card kaum Mißbrauchsmöglichkeiten bestehen, sieht es bei der Westbalkan-Regelung ganz anders aus. Es gibt bislang kein aktuelles Zahlenmaterial, das nähere Auskünfte über die Art und die Einkünfte ihrer in Deutschland verrichteten Arbeit. Ähnlich dünn ist die Datenlage zu Selbständigen und Freiberuflern. Denn man muß nicht EU-Bürger oder aus den gleichgestellten EFTA-Ländern Island, Liechtenstein, Norwegen oder der Schweiz stammen, um in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Dazu reicht eine „selbständige, erlaubte, auf Gewinnerzielung und auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit“, für die „ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis“ besteht.

Steuergelder für pfiffige „Unternehmer“-Familien

Lediglich die Finanzierung der Selbständigkeit durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage muß gesichert sein. Die Prüfung des Businessplans übernehmen die IHKs, die Handwerkskammern und die Gewerbebehörden. Das erklärt die Tatsache, daß sich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer – ohne Einbürgerungen – seit 1990 von 4,7 auf 10,1 Millionen mehr als verdoppelte, aber die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten bei den Zuwanderern lange rückläufig war. Aus den offiziellen Arbeitsmarktberichten der Bundesagentur für Arbeit läßt sich entnehmen, daß sie erst vor etwa zehn Jahren wieder die Marke von zwei Millionen Erwerbstätigen erreichte.

Von den 3,4 Millionen derzeit in Deutschland tätigen Unternehmen werden nach den Daten des Statistischen Bundesamtes etwa 740.000 von Migranten geführt. Während Ausländer nur elf Prozent aller abhängig Beschäftigten stellen, liegt der Anteil bei den Unternehmern etwa doppelt so hoch. Die meisten der von ihnen geführten Firmen sind allerdings Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern, meist im Handel oder in der Gastronomie, wo in der Regel ausschließlich mit Bargeld bezahlt wird. Zahlungen per Kreditkarte oder automatische Quittungen sind selten Standard. Der Grund hierfür dürfte weniger in dem Aufwand zur Bereitstellung der hierfür notwendigen Technik liegen, als in dem Umstand, daß die vereinnahmten Beträge nur teilweise in den Geschäftsbüchern erfaßt und somit nicht voll versteuert werden.

Dies ist zudem Grundlage für ein lukratives „Geschäftsmodell“. Viele „Unternehmer“ beziehen parallel zu ihrer selbständigen Tätigkeit zusätzlich Leistungen der Arbeitsagenturen und Jobcenter. Gegenüber den Behörden werden dabei Einnahmen in geringem Umfang angegeben, die überwiegend nur die durch die Geschäftstätigkeit anfallenden Kosten, etwa für die Anmietung eines Ladenlokals, abdecken.

Den Lebensunterhalt und die Kosten für die Krankenversicherung der Familie deckt dank der „Agenda 2010“ der Steuerzahler ab. Der Staat kann im Gegenzug aber einen Arbeitslosen aus der Statistik streichen. Eine weitere gesetzliche Möglichkeit wird seit einigen Jahren meist von aus Rumänien und Bulgarien eingewanderten Zigeunerfamilien genutzt. Während arbeitslose EU-Ausländer, die ihren Wohnsitz nach Deutschland verlagern, von den hiesigen Sozialleistungen ausgeschlossen werden können, gilt dies nicht für Gewerbetreibende, deren Einkünfte zur Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht ausreichen. Daher werden bei deutschen Ämtern Gewerbebetriebe angemeldet, die nur zum Schein tätig sind, deren Inhaber aber dann später Anspruch auf umfangreiche Sozialleistungen bekommen.

Hochqualifizierten-Richtlinie der EU:  bamf.de





Hartz IV gibt es auch für Selbständige

Die rot-grüne „Agenda 2010“ hat nicht nur „Hartz IV“, sondern auch ein steuerzahlerfinanziertes Lebensmodell für alle EU-Bürger ermöglicht: Arbeitslosengeld II beziehen und trotzdem selbständig sein. Dazu muß zum Hartz-IV-Antrag die „Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft“ (Anlage EKS) geschickt ausgefüllt und ein „Businessplan“ vorgelegt werden. Dann wird ein monatlicher Gründungszuschuß von 50 bis 100 Prozent des normalen Hartz-IV-Satzes für bis zu 24 Monate gezahlt. Zu versteuernde Einnahmen von bis zu 100 Euro monatlich werden nicht angerechnet. Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Hartz-IV-Gelder für Ehepartner und Kinder werden vom Jobcenter bezahlt. Hinzu kommen bis zu 5.000 Euro „Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern“. Stellt sich nach zwei Jahren heraus, daß sich die Selbständigkeit wirtschaftlich nicht trägt, kann man in Hartz IV zurückwechseln. Reicht die Selbständigkeit teilweise zur Deckung des Lebensunterhalts, kann „Aufstockung“ ähnlich wie bei Minijobbern und Mindestlöhnern beantragt werden. 2018 waren 1,1 Millionen der 4,3 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher in Deutschland „Aufstocker“ – und davon etwa zehn Prozent Selbständige oder Freiberufler. (fis)