© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Ist romantisch, macht aber viel Arbeit
Selbstversorger: Vom eigenen Hof die Familie zu ernähren, taugt heute als Gegenmodell zur Konsumgesellschaft – und gibt das Gefühl von Unabhängigkeit
Verena Rosenkranz

Um fünf Uhr morgens heizt Vater Hartes erstmals den Holzofen in der Küche an. Bis seine Frau und die Kinder aufstehen, hat sich eine angenehme Wärme an dem noch überraschend kühlen Maitag ausgebreitet. Rainer Hartes arbeitet hauptberuflich im Baubereich, er ist ein geschickter Handwerker und verdient sein tägliches Brot in einem mittelständischen Betrieb im Ort. Nach seiner 40-Stunden-Stelle ist er Nebenerwerbsbauer, im und rund ums Haus gibt es jeden Tag etwas zu tun. Und das, obwohl sich die Mutter der beiden Kinder um den Haushalt kümmert. Hausfrau ist sie allerdings keineswegs. Die Familie hat ihren Lebensstil vor einigen Jahren immer mehr auf die Basis des Selbstversorgens umgestellt.

Mehrere Hochbeete, Gemüseackerflächen, Streuobstwiesen mit Spielgeräten dazwischen, ein großer Schuppen mit sich anschließendem Stall und einige Tiere warten auf die tägliche Zuwendung. Und die macht sich bezahlt. Hohe Kosten für qualitatives Fleisch, Getreide, Gemüse oder auch für die Heizung und Warmwasser betreffen die Familie nicht.

2.000 Quadratmeter für die Unabhängigkeit 

Sie wissen, was auf den Teller kommt, wo ihr Geld hinfließt und was diese Unabhängigkeit wert ist. Die Vorratskammer ist auch im Winter mit den eigenen, haltbar gemachten Lebensmitteln gefüllt, die Kühltruhen werden vor Einbruch der kalten Jahreszeit bis oben hin vollgepackt. Alltägliches wie Apfelsaft, Marmelade, Speck, Kartoffeln und Öl lagern dort – aus eigener Produktion.

Daß dahinter eine Menge Arbeit steckt, wissen sowohl die beiden Eltern als auch schon die Jüngsten. Sie helfen mit, wo es geht und kennen sich mit ihren acht und sechs Jahren schon bestens mit der Natur, den Tieren und der Wirtschaft aus. Für sie kommt die Milch nicht einfach aus dem Supermarktregal, sondern vom Bauern nebenan. Das Wasser nicht nur aus der Leitung, sondern aus dem Brunnen auf der Streuobstwiese und der Sonntagsbraten vom Hausschwein, das sie ein Jahr lang mit gutem Futter aus dem eigenen Haushalt großgezogen haben.

„Klar ist es schön mit den Hühnern und Schweinen, und wir sind traurig, wenn sie wieder weg sind. Mitleid hab’ ich aber jetzt direkt keines, das ist halt ein Kreislauf“, erklärt der ältere Sohn naseweis, während die kleine Schwester selbständig die Eier aus dem Hühnerstall vor der Türe holt.

In den ersten Wintern befürchtete die Familie, es würde dem Geflügel zu kalt werden, und sie verarbeiteten die älteren Tiere zu Suppenhühnern. Heute bleibt ein geringer Bestand auch immer über die kalte Jahreszeit, und ein Hahn sorgt für laufenden Nachwuchs. Sobald die Temperaturen sinken und damit keine Kühlung während der Arbeitszeit notwendig ist, wird auch eines der Schweine geschlachtet und zerlegt. Die einzelnen Bestandteile werden vakuumiert und beschriftet, die empfindlichen Stücke sofort verarbeitet. Nach einigen Stunden ist die Leber- und Blutwurst fertig. Grammeln, österreichisch für Grieben, werden gebacken und Schmalz abgefüllt. Jede helfende Hand wird benötigt, die Jahreszeit ist allerdings dankbar. Der Garten hält nämlich noch Winterruhe, und so können alle anpacken.

Rund 400 Quadratmeter Bodenfläche benötigt eine vierköpfige Familie, um sich ein ganzes Jahr lang mit Gemüse zu versorgen; in etwa die gleiche Fläche für den Anbau von Obst und etwas Getreide und noch einmal ein ganzes Stück Land für die Haltung von Tieren. Weit über 2.000 Quadtratmeter Landfläche sollten es also sein, um sich von Vater Staat und Mutter Bürokratie in weiten Teilen loszusagen. Bedingungen, die immer mehr Selbstversorger in Kauf nehmen und sich auf ein autarkes Leben einstellen.

Unter ihnen gebe es eine Handvoll „Extremisten“, wie Rainer Hartes sie bezeichnet. Sie verweigern es, Steuern und Abgaben zu zahlen, in öffentlichen Supermärkten einzukaufen, mit dem Auto zu fahren oder Strom aus dem Gemeindenetz zu beziehen. Früher sei für sie alles besser gewesen, und so üben sie sich in einem Lebensstil wie vor etwa 100 Jahren und schaffen es meistens sogar erstaunlich gut. Obwohl es als höchste Kunst gilt, trotz all diesem Verzicht ein angenehmes Leben zu führen, gehen die meisten nicht ganz so weit.

Ein Großteil der Bekannten und Freunde von Familie Hartes, die einen ähnlichen Lebensstil wie er und seine Frau pflegen, verzichten nicht ganz auf jeglichen angenehmen Luxus oder sagen sich völlig vom Staat los. Der Treibstoff für die Familienkutsche wird nach wie vor von der Zapfsäule an der Tankstelle bezogen, auch Fernsehen gibt es in einer verträglichen Dosis, und die Kinder machen in zahlreichen Freizeitvereinen mit. Dafür geht meistens einer der Erwachsenen auch einem normalen Beruf nach und investiert das erwirtschaftete Geld in schwer herzustellende Güter wie Strom, Arbeitsgeräte wie Wurstmaschinen, Ackerhilfen, aber auch in einen Familienurlaub.

Im Notfall ohne fremde   Hilfe überlebensfähig sein

Es muß zwar kein Aktivurlaub auf dem Bauernhof sein, aber auf einen Alles-inbegriffen-Clubaufenthalt haben auch die Kinder nicht wirklich Lust.

Ihnen ist es wichtig, nicht als „Spinner“ oder „Außenseiter“ zu gelten, eine vernünftige Mitte zu finden und trotzdem nicht mit jeder Erfindung des Zeitgeistes mithalten zu müssen. Sie achten darauf, woher das Essen auf dem Tisch kommt und wollen im Notfall auch ohne Hilfe überlebensfähig sein. Das bedeute für sie vor allem, ein warmes Dach über dem Kopf und genügend Lebensmittel für den Krisenfall auf Lager zu haben. „Wir rechnen jetzt nicht wirklich damit, daß etwas passiert. Aber wer sich immer nur gemütlich zurücklehnt, weiß sich im Fall der Fälle selber nicht mehr zu helfen.“

Noch knapp nach der Wende versorgte sich die Bundesrepublik fast zur Gänze selber. Das heißt, weitgehend alle benötigten Agrarerzeugnisse wurden im Land produziert und weiterverkauft, bei Überschüssen wurde ins Ausland ausgeführt. Im Laufe von etwas mehr als zehn Jahren verringerte sich dieser Prozentsatz kontinuierlich – Deutschland ist in ganz wesentlichen Bereichen auf den Import von wichtigen Nahrungsmitteln angewiesen. Während im Jahr 2000 noch rund 95 Prozent der Nahrungsmittel aus Deutschland stammten, waren es 2018 nur noch 85 Prozent. Vor allem Qualitätsprodukte werden heute gerne zu guten Preisen ins Ausland verkauft, und günstige Waren aus Drittländern landen in den heimischen Supermärkten. Ein Umstand, dem bereits einige strukturschwächere Dörfer den Kampf angesagt haben und nicht nur ein sogenanntes „Schwundgeld“ zur Anregung der Kaufkraft im Ort eingeführt haben, sondern auch bei der Energieversorgung auf Wärmepumpen und nachhaltige Brennstoffe umgestellt haben, um nicht von der Fernwärme abhängig zu sein.

Auch rechtliche und hier vor allem baurechtliche Anordnungen stehen dem romantischen Traum von absoluter Autarkie im Weg. Beispielsweise besteht bei der Kanalisation, die in der Regel einen Wasseranschluß mit sich bringt, Anschlußzwang beim Hausbau, und auch die Nutzung von Regenwasser ist nur für Garten, Toilette und Waschmaschine erlaubt.

Eine Entwicklung, der immer mehr Einwohner kritisch gegenüberstehen und das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Sie fühlen sich verunsichert, welche Substanzen zur Haltbarmachung, zur Lagerung und für ein schnelleres Wachstum verwendet werden. Die Bezeichnungen und Reglementierungen sind oft undurchsichtig und zu kompliziert. Der große Importeur wird dem heimischen Bauern vorgezogen und kann mit unschlagbaren Preisen aufwarten. Preise, zu denen in Deutschland oder Österreich nicht einmal Futter für das Vieh oder Gerätschaft für die Feldbewirtschaftung angeschafft werden kann.





350 Euro für einen Schlachtkurs

Der Sachkundelehrgang „Ordnungsgemäßes Schlachten von Geflügel“ Anfang September ist längst ausgebucht. Doch wer lernen will, was Vater und Großvater als Selbstversorger noch zu Hause erlernten, kann den nächsten Termin im Landwirtschaftlichen Bildungszentrum Echem im Landkreis Lüneburg Anfang März 2020 noch reservieren lassen. Folgende sachkundepflichtige Tätigkeiten werden dann vermittelt: „Handhabung und Pflege vor der Ruhigstellung. Ruhigstellung vor der Betäubung. Betäubung und deren Bewertung. Einhängen nach der Betäubung. Entbluten.“ Schon am ersten Tag erfolgen Schulung, schriftliche und mündliche Prüfung. Am zweiten wird das „sachkundige Betäuben und Töten praktisch geprüft“. Es folgen die Prozeßschritte Brühen, Rupfen und Ausnehmen – und es besteht „Gelegenheit zum Üben“. Bei erfolgreicher mündlicher, schriftlicher und praktischer Prüfung erhalten die Teilnehmer dann eine Sachkunde-Bescheinigung, mit der sie den Sachkunde-Nachweis beim zuständigen Veterinäramt erhalten. 350 Euro kostet der Sachkundekurs.

Der „Schlachtkurs wie beim Hausschlachter“ der Landfleischerei Neumeier (Ahle-Wurscht) in Hessisch Lichtenau-Walburg am Fuße des Hohen Meißners kommt dagegen zünftiger daher. Um 4 Uhr morgens geht es nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken los, und der Interessierte wird lernen, wie Schweineschlachten funktioniert. „Sie schlachten selbst ein Schwein und zerlegen es (natürlich unter professioneller Anleitung vom Meister). Sie lernen, was eine gut gemachte Wurst ausmacht. Sie erfahren, was eine Wurst alles NICHT an Zusatzstoffen braucht.“ Der Kurs dauert sechs Stunden und kostet 220 Euro. (ctw)

 www.ahle-wurscht.de

 www.lbz-echem.de