© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Für die einen sind sie eine Offenbarung, für die anderen ein Graus: Ratgeberbücher. Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sind sie nach der Sparte Belletristik sowie dem Kinder- und Jugendbuch der drittwichtigste Umsatzträger der Branche. Ihr Marktanteil beträgt knapp 15 Prozent. Nun, bitteschön, jeder soll kaufen und lesen, was er mag. Von zwei ausgiebigen Lektüren als Jugendlicher abgesehen, darunter „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner“ von Josef Kirchner, stimmen mich heutzutage schon allein die Verlagsankündigungen und Buchtitel skeptisch. Dieser Tage flatterte mir der Herbstprospekt der Schweizer Edition Olms auf den Schreibtisch. Darin findet sich die Ankündigung einer neuen Buchreihe, die ab September erscheint. Sie heißt „Build + Become“ – was schon der erste Grund ist, schreiend davonzulaufen. Die beworbenen vier Selbsthilfetitel mit jeweils 20 Lektionen in fünf Kapiteln lauten: „Zeit genießen“, „Anders denken“, „Kreativ sein“ und „Menschenkenntnis“ – mithin der zweite Grund, rasch das Weite zu suchen. Die 18 Euro, die jeder Band kostet, kann man sich sicher getrost sparen. Denn merke: Aus solchen Büchern lernt man das eine sowenig wie das andere.


Positives Denken: Das Gute an Enttäuschungen ist, daß sie das Ende der Täuschung bedeuten.


Sie gelten als „Heimstätten der neuen gepflegten Männlichkeit“: Barbershops. Mittlerweile sprießen sie wie Pilze aus dem Boden, auch in meinem Wohnviertel. Das Männermagazin GQ hat soeben eine Auswahl der aus seiner Sicht besten Adressen in Deutschland präsentiert. Auch ich verbringe neuerdings gern mehr Zeit in dem türkischen Barbershop um die Ecke. Mit den Klientelwünschen haben es die dortigen Friseure freilich auch nicht immer leicht. Auf die obligatorische Frage nach dem Schnitt schaut der bartlose Kunde vor mir etwas überfordert, zuckt leicht mit den Schultern und sagt dann nur: „Anpassen.“

 

Angeregt durch den Kollegen Matthias Matussek gönne ich mir einige Mußestunden mit Célines „Reise ans Ende der Nacht“. Als Mittzwanziger habe ich den Roman für „unlesbar“ gehalten und nach mehreren Anläufen aufgegeben. Heute finde ich darin immer wieder Sätze, die mich fesseln und lange nachhallen: „Das Leben ist ein Klassenzimmer, und der Aufseher darin ist die Langweile, sie ist die ganze Zeit da, um uns zu beäugen, wir müssen so tun, als wären wir beschäftigt, koste es, was es wolle, mit irgendwas ganz Tollem, sonst kommt sie und frißt einem das Hirn weg.“