© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Nach einem Bericht des britischen Außenministeriums müssen Christen als am stärksten verfolgte religiöse Gruppierung weltweit betrachtet werden. Betroffen sind 245 Millionen Menschen in 144 Ländern. In 50 Ländern gilt der Grad ihrer Verfolgung als außerordentlich hoch und kann Züge eines Genozids annehmen. Neben kommunistischen Regimen wie Nordkorea oder Laos sind in erster Linie muslimische Länder bekannt für Repressionen. Diese haben im Nahen Osten eine lange Tradition. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs hat sich dort der christliche Anteil von 20 auf 4 Prozent der Bevölkerung verringert.

˜

Ursachenforschung I: Die Clan-Kriminalität wird vor den Europawahlen zu einem Dauerthema. Zeitschriften und Zeitungen, Fernsehen und elektronische Medien berichten praktisch permanent über neue Schläge gegen diese Art von organisiertem Verbrechen. Was dabei dröhnend beschwiegen wird, ist die Tatsache, daß über Jahrzehnte nichts geschah und sich dieser „Mob“ fast ungehindert ausbreiten konnte. Mehr noch, daß es sich um eine Nebenwirkung von schwachem Staat, offenen Grenzen und jener Xenophilie handelt, die den Fremden Freiräume gewährt, die es ihnen überhaupt erst erlaubt haben, ethnische Brückenköpfe für Mafia und Ndrangheta, dann für kriminelle Großfamilien türkischer, libanesischer, kurdischer, albanischer, tschetschenischer Provenienz zu bilden.

˜

Von Georges Sorel wird die Äußerung überliefert, daß er nur eine Frau nehmen könne, der ein Laken für die Nacht genüge. Damit bezog er sich auf die eingeschränkten Verhältnisse, in denen er trotz einer gewissen bürgerlichen Karriere leben mußte. Denn lange Zeit mußte er die Schulden abtragen, die sein Vater hinterlassen hatte. Damit verbunden war ein Verständnis von Scham und Schande, das heute ganz und gar abhanden gekommen ist. Selbst die Worte haben kaum noch eine Bedeutung, geschweige denn etwas von gesellschaftlicher Relevanz.

˜

Ursachenforschung II: Niall Ferguson hat in einem Essay den Gedanken entwickelt, daß das Auftreten der „Generation Z“ und die Veränderung der ethnischen Zusammensetzung der „Salatschüssel“ zu einem grundsätzlichen politischen Wandel in den USA führen könnten: weg von Individualismus, Markt und Skepsis gegenüber Washington, hin zu Sozialismus, New Deal und einem fast europäisch anmutenden Vertrauen in den Staat. Ferguson signalisiert durchaus ein gewisses Verständnis für diese Tendenz, vor allem angesichts der privaten Verschuldung oder der Defizite des Bildungssystems, hält sie insgesamt aber für fatal. Nur vermißt man in seiner Argumentation einen Hinweis darauf, daß die angesprochene Generation Z die erste ist, die nie etwas anderes kennengelernt hat, als das ideologische System, das nach dem Sieg der Progressiven im Kulturkrieg errichtet wurde, und das ihre Anschauungen unschwer erklärt, die dem entsprechen, was ihnen Lehrer und Professoren, Geistliche und Journalisten, aber wahrscheinlich auch ihre Eltern beigebracht haben.

˜

Wahrscheinlich ist Gottlosigkeit so alt wie Religion. Nur sind frühe Zeugnisse rar. Immerhin gibt es sehr skeptische Äußerungen in den altindischen Veden und Entsprechendes in den Schriften einiger Philosophen. Aber das war die Angelegenheit der Gebildeten und beschränkt auf einen kleinen Kreis. Daß es auch Zweifel an den Überirdischen beim einfachen Mann gab, findet man immerhin im isländischen Landnahmebuch: „Hall Gottlos hieß ein Mann; er war der Sohn Helgis des Gottlosen. Weder Vater noch Sohn wollten opfern; sie glaubten an die eigene Macht.“ Zu einer Bewegung mit breiterem Anhang wurde der Atheismus erst Ende des 16. Jahrhunderts. Der Begriff tauchte 1592 in einem Theaterstück des englischen Autors Christopher Marlowe auf. Also bevor der Rationalismus und die Aufklärung ihren Siegeszug antraten. Der britische Historiker Alec Ryrie hat jetzt auf diesen Sachverhalt hingewiesen und hervorgehoben, daß es ein Zeitalter intensiven Glaubens war, das auch Glaubenslosigkeit erzeugte. Ryrie erklärt das damit, daß die heftigen Konflikte, die gerade die Ernsthaftigkeit der religiösen Überzeugungen auslöste, bei manchem Zweifel daran wachsen ließ, daß irgendetwas an der Berufung auf Gott sein könne, wenn so verschiedene Programme aus seiner Existenz abgeleitet wurden und so herzhaft in seinem Namen Köpfe eingeschlagen wurden. Unter anderem derjenige Marlowes. Ihm wurde nachgesagt, von Christus behauptet zu haben, daß er ein „Bastard“ gewesen sei, Jüngerinnen seinen Harem bildeten und ohne Zweifel besser der Mann aus Nazareth als Barnabas am Kreuz endete; Marlowe selbst traute sich zu, auf dem Feld der Religion wesentlich „Exzellenteres“ hervorzubringen als die Lehre der Kirche. Im Mai 1593 starb er unter ungeklärten Umständen, vielleicht in Folge eines Streits um unbezahlte Rechnungen, aber es gab von Anfang an auch Gerüchte, daß ihm seine unerhörten Anschauungen den Tod gebracht hatten.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. Juni in der JF-Ausgabe 24/19.