© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Ein journalistisches Novum
Medienethik: War die Veröffentlichung des Strache-Videos rechtlich und moralisch vertretbar?
Ronald Berthold

Der Geschichte über die Video-Affäre des österreichischen Vizekanzlers fehlt noch das Finale. Mit dem Rücktritt Heinz-Christian Straches, dem Bruch der österreichischen Koalition und den Neuwahlen im September ist sie politisch fast beendet. Doch damit kann der Fall nicht zu den Akten gelegt werden. Es bleiben entscheidende Fragen – vor allem aus medienethischer Sicht: Ist es legitim, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mißliebige Politiker zu verheerenden Aussagen zu provozieren, um sie zu stürzen? Und: Dürfen Journalisten ein solches, geheim entstandenes Video überhaupt veröffentlichen? 

Auffällig ist zunächst der enorme zeitliche, technische und finanzielle Aufwand, den die Urheber getrieben haben. Dieser floß allerdings keineswegs in eine investigative Recherche, sondern in das Erschleichen von Vertrauen, das Erfinden von Legenden und die Verwanzung einer konspirativen Wohnung mit Kameras und Mikrofonen. Das stellt ein journalistisches Novum dar. Strache ist das Opfer einer raffinierten Intrige geworden.

Juristische Klärung des Falls steht noch aus

Wenn es ein Opfer gibt, dann gehören zu diesem Fall auch Täter. Doch wer sind sie? Spiegel und Süddeutsche Zeitung haben das Video veröffentlicht, bestreiten jedoch, es auch erstellt zu haben. Ob sie mit der Publikation gegen das Presserecht verstießen, ist eine juristische Frage, die noch geklärt werden dürfte. Strache und die FPÖ werden versuchen, dagegen zu klagen. 

Einen ähnlichen Fall verhandelte zuletzt das Oberlandesgericht Köln. Das Gericht hob im April 2019 eine einstweilige Verfügung auf, die der Industriekonzern Ferrostaal gegen das Journalistenportal Correctiv erwirkt hatte. Streitpunkt waren illegale Tonbandaufnahmen aus einer Aufsichtsratssitzung. Dort diskutierten die Teilnehmer über die Zusammenarbeit mit der Justiz bei der Aufklärung eines Schmiergeldskandals. Correktiv zitierte in einem Artikel aus den Tonbandaufnahmen der geheimen Sitzung – Ferrostaal ging dagegen vor. Die Richter am OLG hielten die Berichterstattung wegen der Bedeutung der Pressefreiheit jedoch für zulässig. Das öffentliche Interesse überwiege, hieß es zur Begründung. Allerdings ging es hier um Mitschnitte einer echten Sitzung, während das inszenierte Treffen mit Strache nur dem Zweck diente, kompromittierende Videoaufnahmen zu erstellen.

Unabhängig von rechtlichen Verstößen entbrennt nun eine ethische Debatte. Insbesondere Medien, die sehr gern moralisierend berichten, sehen sich moralischer Kritik ausgesetzt – auch aus der eigenen Branche. So stellt die Welt fest: „Wer auch immer dahintersteckt, kann sich nicht auf die Rolle eines Journalisten zurückziehen, der zufällig (oder absichtlich) dabei war, als Strache seine demokratiefeindlichen Pläne absonderte. Die Situation wurde vielmehr bewußt geschaffen, um Strache bloßzustellen.“ 

Im Klartext: Die Grenze zum Aktivismus haben die Macher überschritten – und zwar so deutlich wie nie zuvor. „Wenn es Journalisten gewesen sind, wäre es nicht redlich, weil wir Journalisten haben keine Fallen zu stellen, sondern Realitäten abzubilden“, kommentierte auch Correctiv-Chefredakteur Oliver Schröm in der ARD-„Tagesschau“.

Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink nennt das Vorgehen „kriminelles Unrecht“. Er stellt – erstaunlicherweise in der ersten Person Plural – fest: „Wenn wir politische Gegner hintergehen, ihre Privatsphäre verletzen und sogar kriminelles Unrecht begehen, schaden wir letzten Endes unserer politischen Kultur und damit uns allen.“ Mit dem „wir“ meint er ganz offensichtlich die sich moralisch überlegen fühlende linke Elite, die Medien und Politik dominiert.

Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung versucht seinen Lesern zu erklären, warum für ihn kein Weg daran vorbeiführte, das Video zu veröffentlichen. Unverblümt gibt er zu, daß die politische Gesinnung des Betroffenen ein ausschlaggebendes Kriterium war: „Wir fühlen uns der Demokratie und der freiheitlichen Gesellschaft verpflichtet. Und wir wollen keinen Staat, in dem Politiker wie Heinz-Christian Strache oder Viktor Orbán sich der lästigen Kontrolle entledigen, indem sie Journalismus und Pressefreiheit erledigen.“ Aus Sicht des Bloggers Sascha Lobo verbiete sich jede Diskussion über die Frage, ob das Video erstellt und gezeigt werden durfte. Auch für ihn heiligt das politische Ziel die Mittel. Lobo greift Datenschützer Brink an: „Rechtsextreme in Schutz nehmen für den Datenschutz, gegen den bösen, investigativen Journalismus“, twitterte er. Das sage „leider sehr viel über Deutschland“ aus.

Bei den Argumenten gegen eine Publikation spielt ebenfalls eine Rolle, daß es einen den Journalisten verhaßten Politiker getroffen hat. Denn dieser könnte die Machenschaften hinter dem Video für sich nutzen und sich als Märtyrer darstellen: „Jedenfalls erlaubt die Art, wie er aus dem Amt katapultiert wurde, es nun ausgerechnet Strache, zu behaupten, er sei zurückgetreten, weil ihm eine Falle gestellt wurde“, sorgt sich die Welt. 

Auffälligerweise stellt sich bisher kaum ein sogenanntes Leitmedium der Grundsatzfrage, ob ein solches Vorgehen unabhängig von der Person und deren politischen Zielen ethisch vertretbar ist. Aufschlußreich könnte daher die mediale Reaktion sein, sollte zum Beispiel Grünen-Chef und Medien-Liebling Robert Habeck einmal in eine Situation geraten, wie sie Strache zum Verhängnis wurde.