© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Tom Schwarz boxt für Deutschland – das dem Sportereignis des Jahres entgegenfiebert.
Allein gegen Goliath
Bernd Rademacher

Als Tom Schwarz die Nachricht bekam, konnte er es nicht fassen: Der britische Ex-Schwergewichts-Weltmeister und Klitschko-Bezwinger Tyson Fury, 30, fordert ihn zum Boxkampf heraus. Der 24jährige Hallenser, der in Magdeburg boxt, mußte erst mal eine Nacht darüber schlafen, dann sagte er zu. Doch um das Ausmaß zu begreifen, brauchte er noch einige Tage. Heute meint der sympathische Holzfällertyp mit dem sanften Bären-Baß: „Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Es ist die größte Chance meines Lebens!“

Wenn Schwarz also am 15. Juni in Las Vegas gegen Fury in den Ring steigt, schaut die ganze Boxwelt zu. Ein Spaziergang wird es nicht. Der deutsche Riese von 1,97 Meter hat zwar alle seine 24 Profikämpfe gewonnen (davon 16 durch K.o.), aber der irischstämmige Brite aus einem Zigeuner-Clan, der sich selbst „Gipsy King“ (Zigeuner-König) nennt, ist sein erster Weltklasse-Gegner. Fury ist für seine psychologische Zermürbungstaktik bekannt – allerdings auch für ein Dopingvergehen, angebliche Depressionen und mehrere Rücktritte. Für ihn ist der Kampf nur eine Etappe zur Rückeroberung seines Titels – für Schwarz dagegen geht es um den Eintritt in die Weltelite. Natürlich hat der mit Trainer René Friese stundenlang Videoaufnahmen Furys analysiert. Über die geringen Erfolgsaussichten sind sich die beiden allerdings im klaren. Ihr Verdacht: Das Selbstvermarktungsgenie, das bereits einen Fernseh-Deal ausgehandelt hat, will sich für den lukrativen US-Boxsport als „Marke“ aufbauen. Dabei helfen vermeintlich kleine Gegner ungemein, die Fury mit seinem berühmten linken Haken spektakulär auf die Bretter zu schicken hofft. Doch 110-Kilo-Schwergewicht Schwarz hat keine Lust, nur eine Sprosse auf dessen Karrierleiter zu sein. Zwar räumt er ein: „Nach Punkten ist das nicht zu gewinnen.“ Beteuert aber entschlossen: „Man muß einfach kämpfen! Boxen reicht da nicht, man muß wirklich kämpfen!“ Und obwohl er weiß, was ihm bevorsteht, gibt er sich siegessicher: „Ich gehe nicht nach Vegas, um zu verlieren. Ich möchte den Sieg – nicht für mich, ich möchte ihn für Deutschland und für meine Familie!“ 

Immerhin, steht er gegen Fury lange genug, hat er selbst bei einer Niederlage eine Zukunft. Nur falls er gleich in den ersten Runden zu Boden geht, ist seine Karriere zu Ende. Inzwischen ist der bärtige Blonde von der Elbe in der Wüste von Nevada eingetroffen und wird von einem erfahrenen US-Trainer auf die speziellen Gegebenheiten in Amerika vorbereitet – der kommentierte gegenüber Bild: „Wenn er Fury umhaut, würde das an Wahnsinn grenzen!“

Sollte dieser „Wahnsinn“ in zwei Wochen Wahrheit werden, könnte Schwarz auch Boden für den deutschen Boxsport gutmachen. Denn im vergangenen Jahr mußte der Berliner Tyron Zeuge als derzeit letzter deutscher Schwergewichtler seinen Weltmeistergürtel ablegen.