© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Modische Änderungen
Grundgesetz: Künftig soll die „sexuelle Identität“ in der Verfassung geschützt werden
Jörg Kürschner

Ein weiteres Mal sucht die FDP-Opposition im Bundestag den engen Schulterschluß mit der Linken und den Grünen. Dieses Mal geht es um nichts Geringeres als um eine Änderung des Grundgesetzes, das künftig auch die sexuelle Identität vor Diskriminierung schützen soll. Bei der Formulierung des Gesetzentwurfs war die AfD als größte Oppositionsfraktion  wie üblich unerwünscht. 

„Wir sehen uns nicht als schrille, sondern als smarte Opposition“, kündigte Fraktionschef Christian Lindner nach dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag an. Gesagt, getan. Im Herbst vergangenen Jahres stellte Lindner gemeinsam mit seinen Kollegen Dietmar Bartsch (Die Linke) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) eine „Initiative zur Sicherheitspolitik“ vor. Es ging um eine gemeinsame Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz. Ein ungewöhnlicher Auftritt vor der Bundespressekonferenz, der von der FDP mit dem Hinweis auf das Grundgesetz begründet wurde. Für eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht müssen sich mindestens ein Viertel der Abgeordneten zusammentun. Ähnlich hatten die drei Oppositionsfraktionen bereits bei ihrer gemeinsamen Klage gegen die von der Koalition im Hauruckverfahren beschlossene Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung argumentiert.

Auf ihrer Suche nach Anschluß hat sich die FDP jetzt für das Thema „Sexuelle Identität“ erwärmen können, ein Herzensanliegen der Grünen. „70 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes muß endlich auch die letzte von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe explizit genannt werden und unter dem Schutz unserer Verfassung stehen“, erklärte Ulle Schauws, Grünen-Sprecherin für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle (LSBTI). In der derzeitigen Fassung des Grundgesetzes heißt es in Artikel 3 Absatz 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. In dem Antrag heißt es, der Artikel schreibe in seiner jetzigen Form „einen der zentralen Mechanismen von Homo- und Transfeindlichkeit fort“, nämlich das „Unsichtbarmachen“ und „Bagatellisieren“ von Diskriminierungen.

Verfassungshistoriker äußert seine Zweifel

Nun sind für einen Gesetzesantrag im Bundestag anders als bei den Normenkontrollklagen vor dem Bundesverfassungsgericht keine qualifizierten Mehrheiten erforderlich. Es ginge also auch ohne die Liberalen. Gleichwohl zieht die FDP mit den Grünen am gleichen Strang, wohl auch um ihr Aufmerksamkeitsdefizit zu bekämpfen. Der LSBTI-Sprecher der FDP, Jens Brandenburg, betonte: „Kein Mensch darf aufgrund seiner sexuellen Identität ausgegrenzt, verfolgt oder diskriminiert werden. Diesen Schutz soll das Grundgesetz künftig auch im Wortlaut garantieren“.

Ob das links-grün-liberale Projekt von Erfolg gekrönt sein wird, ist eher unsicher. Denn das Grundgesetz kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat geändert werden. Mit anderen Worten, ohne die Zustimmung von CDU/CSU geht es nicht. Fraktionsvize Thorsten Frei zeigte  klare Kante, auch gegenüber dem Koalitionspartner SPD, die dem Vorhaben der drei Oppositionsfraktionen grundsätzlich positiv gegenübersteht. „Das Grundgesetz darf nicht mit Änderungen oder Ergänzungen überfrachtet werden, für die es gar keine Notwendigkeiten gibt“. Doch in der Union meldete sich rasch Widerspruch. Fraktionskollege Jan-Marco Luczak, der mit dem Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg auch einen Regenbogenkiez vertritt, sprach sich für den Oppositionsantrag aus. „Jeden Tag werden in unserem Land Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender angefeindet. Einfach nur, weil sie so sind wie sie sind. Auch nehmen homophobe Übergriffe leider zu“, beklagte er.

Deutliche Vorbehalte werden hingegen von der AfD und Historikern geäußert. Roman Reusch, der als langjähriger Leitender Oberstaatsanwalt für die AfD im Rechtsausschuß des Bundestages sitzt, verweist auf einen rechtshistorischen Aspekt. „Es ist geradezu naiv anzunehmen, durch die Einfügung eines Diskriminierungsverbots der sexuellen Ausrichtung in das Grundgesetz würde gewissermaßen für alle Zeiten die Diskriminierung Homosexueller der Vergangenheit angehören. Wie die Rechtsgeschichte zeigt, hängt die Haltung des Gesetzgebers zur Homosexualität von der Haltung der Masse der Bevölkerung dazu ab“, sagte er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. So habe die frühere Rechtsprechung, die die Bestrafung homosexueller Betätigung für mit der Verfassung vereinbar erklärte, der damaligen Haltung der Bevölkerung entsprochen. Genauso gut könnten sich Gesetzgebung und Rechtsprechung bei einer erneuten Änderung der Haltung des überwiegenden Teils der Bevölkerung, etwa durch eine Änderung der Zusammensetzung der Bevölkerung, wieder ins Gegenteil verkehren. Keine Verfassungsvorschrift könnte daran etwas ändern. Auch der Verfassungshistoriker Michael F. Feldkamp warnte davor, „jede gesellschaftliche Veränderung gleich durch eine Grundgesetzänderung zu sanktionieren“. 

Immer wieder wird auch diskutiert, den Begriff der „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Bisher wurde die Verfassung während der 70 Jahre 63mal geändert. Der Text ist heute doppelt so umfangreich wie das Original 1949.