© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Ländersache: Hessen
„Wir kommen zu euch!“
Sandro Serafin

Ihr Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: Weil die Frankfurter Ethnologie-Professorin Susanne Schröter Anfang Mai eine kritische Konferenz zum Kopftuch veranstaltete, machten Studenten via Instagram unter dem Hashtag „schroeter_raus“ gegen sie mobil. Auch die Gruppe „Realität Islam“ (RI) nahm an der Kampagne teil.

RI ist im Rhein-Main-Gebiet keine Unbekannte. Seit 2016 aktiv, wettern ihre Anhänger gegen eine „Wertediktatur“ und den „Assimilationsterror“. Im Internet hetzen sie gegen „die Tyrannenherrschaft der Zionisten“ in Palästina und schieben sogar Angela Merkel eine Verantwortung für den rechtsextremen Terror in Christchurch zu. Auf Facebook erreicht die Gruppierung mit ihren tagesaktuellen Videoclips über 30.000 Fans. Laut Hessischem Rundfunk konnte RI in den vergangenen Monaten einen Zulauf an Anhängern verbuchen.

Nun hat „Realität Islam“ unter dem Motto „Wir kommen zu euch!“ eine neue Kampagne gestartet – offenbar, um mit Workshops, Themenabenden und Vorträgen über das Rhein-Main-Gebiet hinaus zu expandieren. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) warnt, daß die Gruppierung auf eine Ausweitung ihres Aktionsfeldes durch persönliche Kontakte abziele. Es bestehe die Gefahr, daß „insbesondere junge Menschen“ an „islamistische Themen und Auffassungen herangeführt werden“. RI selbst spricht von „Networking“ und blendet in einem Video etwa Köln und Berlin ein. Nach Erkenntnissen des LfV gehen die Ansichten von „Realität Islam“ weit über verfassungsrechtliche Grenzen hinaus. Der Nachrichtendienst sieht eine ideologische Nähe zur 2003 verbotenen „Hizb ut-Tahrir“-Vereinigung, die ein weltweites Kalifat anstrebe und Gewalttaten billige. Nach RI-Vorstellungen solle sich ein „‘wahrer Muslim’ bei Konflikten zwischen Grundgesetz und Scharia stets nach den Vorgaben der Scharia richten“. 

Die Gruppe knüpfe „gezielt“ an Diskriminierungserfahrungen von Muslimen an, um zu emotionalisieren. So entstehe die Gefahr einer Abschottung. RI selbst gibt als Ziel an, eine „gemeinsame und bewußte Community zum Erhalt un-serer islamischen Identität“ aufbauen zu wollen. Die Zeit stellte sie im vergangenen Jahr als eine Art islamische Identitäre Bewegung dar.

Wie wirkmächtig RI werden kann, hatte sich erst im vergangenen Jahr gezeigt, als es der Gruppierung gelang, 165.000 Unterschriften gegen ein Kopftuchverbot für Kinder zu sammeln. Unter anderem hatten junge, unauffällige Männer in Fußgängerzonen für das Anliegen geworben und damit offenbar nicht nur Muslime erreicht. „Nicht jedem ist klar, welche Ideologie dahintersteckt“, warnt Ismail Tipi, Islamismus-Experte der hessischen CDU-Fraktion. Bei der Aktion habe man sehen können, „welche Kraft hinter der Gruppierung steckt“. Auch der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Wiesbadener Landtag, Klaus Herrmann, mahnt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Wir müssen dem politisch-extremistischen Islam klar entgegentreten. Der Verfassungsschutz darf nicht länger dem Treiben solcher Gruppen zusehen.“

Vor diesem Hintergrund sind die hessischen Verfassungsschützer offenbar fest entschlossen, den islamistischen Aktivisten das Leben nun schwerer zu machen. Kommunen sollen nicht an RI vermieten: „Keine Räume für Islamisten“, lautet die klare Ansage auf der Internetseite des LfV.