© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Es grünt so grün
Wahlsonntag: Die Alternativen von einst und die von jetzt gehen als Sieger aus dem Urnengang hervor / Volksparteien bauen ab
Christian Vollradt

Der Wähler kreißte – und gebahr zwei neue Volksparteien. Allerdings leben die beiden räumlich strikt getrennt, entlang einer neuen Demarkationslinie, die in Wahrheit eine alte ist. Im altbundesrepublikanischen Westen haben die Grünen ihren Lauf fortgesetzt, der seit gut einem Jahr in den Umfragen nur eine Richtung kennt: nach oben. Und nun das beste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Mit über zwanzig Prozent hat die Partei den Stimmenanteil von 2014 verdoppelt. Vor allem in den großen Metropolen – in Hamburg, Köln, Berlin, München und Frankfurt – wurden die Grünen stärkste Partei bei der Europawahl. Von einem „sensationellen Ergebnis“ sprach Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, es übertreffe „alle Erwartungen“, jubelte der Parteivorsitzende Robert Habeck, seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock nannte es „saustark“. Grün ist die Farbe des Erfolgs. 

Gesamtdeutsch etwas verhaltener die Freude bei der AfD, die zwar im Vergleich zu 2014 ebenfalls dazugewonnen hat, die aber an die bei ihren Europa-Parteitagen geäußerten Wunschergebnisse von traumhaften 20 Prozent nicht annähernd herankam. Außer im Osten, in den offensichtlich eben doch noch neuen Bundesländern. In Sachsen (25,3 Prozent) und Brandenburg (19,9 Prozent) wurde sie bei der EU-Wahl stärkste Partei, in Thüringen (22,5 Prozent) lag sie knapp hinter der CDU auf Platz zwei. Landeschef Björn Höcke sieht darin die Bestätigung seines Kurses und freut sich über „Rückenwind für die Landtagswahl im Herbst“. Sein sächsischer Kollege Jörg Urban sprach von einem „schönen Tag für unser stolzes Sachsenland“. Auch in Sachsen-Anhalt landete die AfD mit 20,4 Prozent auf dem zweiten Platz hinter der CDU (23,2 Prozent), ebenso in Mecklenburg-Vorpommern mit 17,7 Prozent (CDU 24,5 Prozent). 

Daß das bundesweite Ergebnis nicht noch besser ausfiel, habe auch mit massiven Behinderungen im Wahlkampf zu tun, meinte AfD-Chef Jörg Meuthen am Montag vor Journalisten. Auch manches andere – das Gezerre um den Brexit, aber auch die nur aufwendig vermittelbaren Aussagen zur Abschaffung des EU-Parlaments – habe seiner Partei nicht gerade in die Karten gespielt. Sein Co-Vorsitzender Alexander Gauland sprach angesichts der polit-geographischen Teilung gar von einer Spaltung des Landes. Die Wahl habe erneut klargemacht, daß die Grünen der Hauptgegner der AfD seien. „Wir müssen gegen die Grünen kämpfen, denn die wollen unser Land zerstören.“ Natürlich wolle auch die AfD die Spaltung überwinden. Und wie? „Indem wir im Westen genauso stark werden wie im Osten“, so Gauland. Die Gefahr, die AfD könne zu einer Art „Lega Ost“ werden, sieht sein Kollege Meuthen dennoch nicht. 

Das nicht gerade berauschende Landtagswahlergebnis von Bremen (bei Redaktionsschluß lag das amtliche Endergebnis noch nicht vor), geriet da fast zur Randnotiz. Immerhin habe man Stimmen hinzugewonnen und das Ziel erreicht, in Fraktionsstärke einzuziehen, sagte Spitzenkandidat Frank Magnitz. Die Hürden, denen die AfD bundesweit gegenüberstehe, seien in Bremen wie unter einem Brennglas verdichtet. Hinzu komme die Konkurrenz im eigenen politischen Lager durch eine „kleine regionale Partei“; den Namen der „Bürger in Wut“ (JF 22/19), die wegen ihres Ergebnisses in Bremerhaven auch wieder in der Bremischen Bürgerschaft vertreten sind, nimmt Magnitz nicht in den Mund. Sein – parteiintern nicht unumstrittener – Schritt, neben dem Bundestagsmandat auch das in der Hansestadt zu übernehmen, wollte Parteichef Gauland nicht kommentieren. Das müsse Magnitz selbst entscheiden, schließlich sei die Bremische Bürgerschaft lediglich ein „Freizeitparlament“. 

Für die Sozialdemokraten ist das Ergebnis des Wahlsonntags kaum etwas besseres als der Tod, um aus dem Märchen der Bremer Stadtmusikanten zu zitieren. Mi­nus acht Pro­zent­punk­te in der einstigen Hochburg mit (scheinbarem) Abonnement auf den Chefsessel im Senat – das war ein herber Schlag. 24,5 Pro­zent, und vor al­lem: hin­ter der CDU, die das unbeschriebene Blatt Carsten Meyer-Heder (JF 21/19) ins Rennen geschickt hatte. Und dann unter 16 Prozent bei der Europawahl; ein „ex­trem er­nüch­terndes“ Ergebnis, meinte Parteichefin Andrea Nahles, der zudem Putschgerüchte zu schaffen machen. Anfang kommender Woche will die SPD in Klausur gehen, um die Wahlschlappe zu analysieren. „Der Ernst der Lage ist allen klar“, so Nahles. 

Zufrieden konnte auch die CDU mit ihren Ergebnissen (siehe Grafik) nicht sein. Gleich am Montag seien intern die Fetzen geflogen. Grund: Eine interne Analyse der Parteispitze machte einen Rechtsruck in Teilen der Partei für die Wahlniederlagen mitverantwortlich. Ein „vermeintlicher ‘Rechtsruck’“ bei der Jungen Union sowie medienwirksame Auftritte der konservativen Werteunion hätten zu einer „deutlichen Abkehr der unter 30jährigen Wählerinnen und Wähler“ geführt. Auch wenn Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer öffentlich ein wenig auf Distanz zu dieser Feststellung ging, schäumte nicht nur JU-Chef Tilman Kuban („Schlag ins Gesicht“). Auch der Vorsitzende der Unions-Konservativen, Alexander Mitsch, reagierte sauer: „Daß mit der Werteunion und der Jungen Union ausgerechnet die Gruppierungen beschuldigt werden, die sich besonders stark für ein klares Profil der CDU, etwa bei der Einwanderung, eingesetzt haben, kann man nur mit Abgehobenheit, Verschleierungstaktik oder gar gezielter Intrige durch die Drahtzieher erklären“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT.  „Ohne Politikwende und personelle Erneuerung wird sich der Abwärtstrend der CDU nicht umkehren lassen.“

(Grafiken siehe PDF)