© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Europa rechts der Volksparteien
EU-Wahl: Mehr als jeder vierte Abgeordnete steht Brüssel skeptisch bis ablehnend gegenüber. Ein Überblick über die rechten Parteien und ihre Ergebnisse
Marco Gallina

Matteo Salvini verkündete am Sonntag das Ende der EU, wie wir sie kennen: „Die Wahl von heute sagt uns, daß sich die Regeln Europas ändern werden.“ Der italienische Vizepremier und Lega-Chef hat allen Grund dazu, große Töne zu spucken: Seine Partei kam in Italien auf rund 34 Prozent. Die Lega hat damit das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Der sozialdemokratische Partito Democratico ist zwar seit der letzten EU-Wahl kollabiert – die Partei stürzte von 40 auf 22 Prozent ab –, hat aber im Vergleich zu den zwischenzeitigen Parlamentswahlen wieder Boden gutgemacht. Die Fünf-Sterne-Bewegung, vor einem Jahr noch die stärkste Partei Italiens, liegt dagegen nur noch an dritter Stelle mit rund 17 Prozent. Der Abstand der beiden Parteien zur Lega ist überdeutlich.

Auch Salvinis europäische Weggefährtin, Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National, schaffte es an die Spitze auf nationaler Ebene. Mit 23,3 Prozent erreichte sie knapp einen Prozentpunkt mehr als La République en Marche, die Partei des Präsidenten Emmanuel Macron. Die Ikone einer starken EU-Integration, geschlagen von einer EU-Skeptikerin in einem der Gründungsländer der Union – es ist eines der großen Symbole des 26. Mai.

Salvinis Triumph und Le Pens Sieg täuschen jedoch nicht darüber hinweg, daß das gemeinsame Bündnis der Europäischen Allianz der Völker und Nationen (EAPN) schwächer abgeschnitten hat als erwartet. Zwar konnte auch „Vlaams Belang“ in Belgien von vier auf zwölf Prozent zulegen. In Dänemark stürzten jedoch die Verbündeten von der Dänischen Volkspartei von 26 auf rund elf Prozent ab. In den Niederlanden konnte das Forum für Demokratie seinen Erfolg bei den Provinzwahlen nicht ganz wiederholen (elf Prozent), Geert Wilders Freiheitspartei verpaßte sogar den Wiedereinzug ins Parlament.

Drei der vier großen Länder stimmen gegen Brüssel

Die FPÖ erreichte in Österreich rund 17 Prozent – zwei Prozentpunkte weniger als bei der letzten Europawahl, aber sechs Prozentpunkte weniger als bei der Wahl zum Nationalrat im Jahr 2017. Der Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache konnte 33.500 Vorzugsstimmen auf sich vereinigen. Er hat damit Anrecht auf ein Direktmandat. Die deutsche Verbündete Salvinis, die AfD, holte elf Prozent: eine Verbesserung gegenüber der Europawahl 2014, aber eine Verschlechterung zur Bundestagswahl 2017. Die spanische  Vox verbuchte bei der Parlamentswahl vor einem Monat noch zehn Prozent, erreichte am Sonntag jedoch lediglich sechs Prozent.

Die Schlußfolgerung, daß ein Rechtsruck in Europa ausgeblieben sei, bleibt jedoch Wunschdenken. Der rechte Flügel dagegen dünnte bei EVP und EKR aus. Die Fraktionen von Salvini und Nigel Farage konnten dagegen dazugewinnen. In Großbritannien stimmte eine satte Mehrheit von rund 31 Prozent für Nigel Farages Brexit Party. Die Wähler bestätigten außerdem den Kurs der nationalkonservativen Regierungsparteien in Polen und Ungarn.

Schwachpunkt der Rechten bleibt die Zersplitterung

Drei der vier wichtigsten europäischen Länder haben mehrheitlich gegen die Brüsseler Politik gestimmt. Als stärkste Einzelparteien dürften die Lega und die Brexit Party mit 28 und 29 Mandatsträgern in das neugewählte Parlament einziehen – und damit selbst die CDU als bisher größte europäische Partei hinter sich lassen.

Die Schwäche der Rechtsparteien bleibt ihre Zersplitterung: Trotz Salvinis Ambitionen, eine gemeinsame Fraktion zu schaffen, dürften auch weiterhin drei EU-skeptische Lager im Parlament sitzen, wenn die Basisdemokraten (EFDD) noch Mitglieder aus anderen europäischen Länder gewinnen können. Für die Bildung einer Fraktion sind mindestens 22 Abgeordenete aus sieben Ländern nötig. Zusammengezählt hätte das Lager aus Rechtskonservativen (EAPN), Nationalkonservativen (EKR) und Basisdemokraten (EFDD) mehr Stimmen als die Sozialdemokraten (S&D). Nur die Europäische Volkspartei (EVP) wäre weiterhin die stärkste Kraft im EU-Parlament – allerdings nach herben Verlusten auf dem gesamten Kontinent. Würden die 13 ungarischen Fidesz-Abgeordneten die EVP verlassen und nach rechts abwandern, wäre die Mehrheit weg.

Die Niederlagen der klassischen Volksparteien sind zu einem europäischen Symptom geworden. In Großbritannien und in Frankreich sind die großen sozialdemokratischen und bürgerlichen Parteien heftiger denn je abgestraft worden. Die deutsche Christdemokratie muß sich an Ergebnisse unter 30 Prozent gewöhnen; in den Nachbarländern sind ihre Partner bereits einstellig geworden. Die Sozialdemokraten konnten nur noch in Portugal, Spanien und Schweden die Oberhand gewinnen. Ihre Mehrheit haben Bürgerliche und Sozialdemokraten auf EU-Ebene verloren. Die Große Koalition ist demnach auf europäischer  Ebene Geschichte. Die Liberalen (ALDE), die ihre Hochburgen halten und ausbauen konnten, dürften als zukünftiger dritter Koalitionspartner das Zünglein an der Waage spielen.

Bemerkenswert: Die Schwesterparteien der EVP konnten sich nur in jenen östlichen Ländern halten, wo die rechte Mitte ihr patriotisches und einwanderungsskeptisches Profil behielt. Das deutsche Kernthema Klimaschutz, das von hiesigen Medien zur europäischen Schicksalsfrage hochstilisiert wurde, spielt jenseits von Rhein und Oder kaum eine Rolle. Zwar konnten die Grünen auch in Frankreich und Finnland Achtungserfolge verbuchen – im europäischen Maßstab steigerten sie sich jedoch nur um zwei und drei Prozentpunkte. Der Kollaps der klassischen Großparteien folgt dem EU-Trend. Deutschland bleibt nur die Rolle eines europäischen Geisterfahrers.

 europawahlergebnis.eu

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Sitzverteilung

Fraktionenszusammensetzung des EU-Parlament  (laut Hochrechnung vom 27. Mai 2019)

Gesamt 751 Sitze

GUE-NGL Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke 39 Sitze (-13)

S&D Progressive Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament 146 Sitze (-39)

Grüne/EFA  Die Grünen/Europäische Freie Allianz 69 Sitze (+17)

ALDE&R Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa & Renaissance & USR PLUS  109 Sitze (+40)

Fraktionslose & Sonstige 38 Sitze

EVP Europäische Volkspartei 180 Sitze (-36)

EKR Europäische Konservative und Reformer 56 Sitze (-21)

EFDD Europa der Freiheit und der direkten Demokratie 44 Sitze (+2)

EAPN (ex-ENF) Europäische Allianz der Völker und Nationen und 70 Sitze (+34)