© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

„Gefangene Rußlands“
Energiepolitik: Der Widerstand gegen Nord Stream 2 wächst
Paul Leonhard

Erst Polen und die Balten, nun ist es Dänemark, das beim Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 eine undurchsichtige Rolle in der EU spielt. Die rechtsliberale Regierung in Kopenhagen verzögert die Genehmigung für das Verlegen der Rohre um die Insel Bornholm. Das könnte die Fertigstellung der neuen Trasse, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas nach Europa bringen soll und die weitgehend parallel zu der seit 2012 in Betrieb befindlichen Nord Stream 1 verläuft, gefährden. Damit stünde ein Teil der Lieferungen nach Deutschland auf dem Spiel, denn zum Jahresende laufen die russisch-ukrainischen Verträge über den Gastransport durch die über Land verlaufende Pipeline aus.

Die Verhandlungen werden schwierig, denn die USA haben sich seit einigen Wochen lautstark in den innereuropäisschen Streit um Nord Stream 2 eingemischt. US-Präsident Donald Trump spricht dabei allerdings nur das unverblümt aus, was auch die überwältigende Mehrheit der Demokraten und Republikaner glaubt: Europa werde durch die zweite Gaspipeline zu sehr von russischen Energielieferungen abhängig – und Deutschland mache sich so zum „Gefangenen Rußlands“.

Für den Fall, daß sich die EU-Projektbeteiligten – Wintershall und Uniper aus Deutschland, OMV aus Österreich, Engie aus Frankreich und die britisch-niederländische Royal Dutch Shell – weiterhin uneinsichtig zeigen, drohen die Amerikaner mit Sanktionen. So schrieb Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, mehrere am Projekt beteiligte Konzerne an, um ihnen mitzuteilen, daß sich „Firmen, die sich im russischen Energieexport-Sektor engagieren, an etwas beteiligen, das mit einem erheblichen Sanktionsrisiko verbunden ist“.

Die Konzerne würden aktiv die Sicherheit der Ukraine und Europas untergraben. Der US-Botschafter in Brüssel, Gordon Sondland, hatte bereits im November 2018 unverblümt gedroht, daß Präsident Trump Möglichkeiten habe, Nord Stream 2 zu verhindern: „Wir haben noch nicht alle Instrumente eingesetzt, die das Projekt ernsthaft untergraben oder stoppen könnten.“

Beifall bekam Sondland dafür nicht nur von Polen, den drei baltischen Ländern oder von Grünen und Liberalen aus dem EU-Parlament, sondern auch von der Ukraine. Die vier EU-Mitglieder verweisen mit Blick auf ihre Sicherheitsinteressen auf die Janusköpfigkeit des Vorhabens: einerseits Rußland wegen der Krim-Annexion mit EU-Sanktionen belegen und gleichzeitig weiter Milliardengeschäfte machen. Die Ukainer befürchten zudem Milliarden-Verluste durch den Wegfall der bisherigen Transitgebühren für Gaslieferungen.

Kiew unterschlägt dabei, daß es auf Initiative von Angela Merkel längst von Deutschland garantierte Zusagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt, der Ukraine eine Mindestmenge an Gas zu garantieren, das weiterhin durch ukrainische Pipelines von Rußland nach Europa geleitet wird. Aus russischer Sicht sind die Washingtoner Drohungen dagegen ein „Angriff auf die europäische Sicherheitsarchitektur“, wie Vize-Außenminister Alexander Gruschko formuliert: Das Pipelineprojekt sei wirtschaftlich sinnvoll und entspreche den Interessen der Energiesicherheit Europas.

Es kochen alle Argumente wieder hoch, die bereits bei der Inbetriebnahme von Nord Stream 1 eine Rolle gespielt hatten. Auch vor sieben Jahren wurden die europäische Versorgungssicherheit und die deutsche Interessenpolitik kontrovers diskutiert. Die Grünen und die Transatlantiker in der Union thematisierten dabei auch genüßlich die Rolle von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der in der Nord Stream AG gutbezahlter Vorsitzender des Aktionärsausschusses wurde.

Energiewende mit teurem Erdgas aus Amerika?

Durch die Wahl des Investmentbankers Emmanuel Macron zum französichen Staatspräsidenten hat Deutschland allerdings einen wichtigen Verbündeten verloren. Ohne Sozialisten oder Gaullisten in der Pariser Regierung gab es keine Sperrminorität mehr gegen eine verschärfte EU-Gasrichtlinie (2009/73/EG). Dies zeigt, mit welch harten Bandagen im Energiemarkt gekämpft wird. Nach der Reform ist es zwar mit der Bundesnetzagentur eine deutsche Behörde, die die Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2 erteilt, doch diese muß sich zuvor eine bindende Meinung der EU-Kommission einholen. Deren Mitglieder wollen aber die Importabhängigkeit von Rußland generell verringern. Da sie Nord Stream 2 nicht einfach stoppen können, soll das Projekt für die Russen unprofitabel gemacht werden. Dazu zählt die Festlegung, daß Gasproduktion und Pipeline nicht in einer Hand liegen dürfen. Der CSU-Politiker Manfred Weber, der gern Chef der EU-Kommission werden möchte, hat versprochen, in dieser Funktion alle Rechtsmittel anzuwenden, um Nord Stream 2 zu verhindern, etwa durch weitere kostspielige Auflagen.

Dmitri Chandoga, Vizechef der Außenwirtschaftsabteilung des russischen Energiekonzerns Gazprom, ist trotzdem optimistisch: Angesichts des Atom- und Kohleausstiegs werde der Gasbedarf in Deutschland zwangsläufig weiter steigen. Liefern Wind und Sonne nicht genügend Strom, müssen teure Gaskraftwerke die Grundlast übernehmen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Wochenbericht 27/18) widerspricht dem: Sogar ein Totalwegfall russischer Erdgaslieferungen könne durch andere Bezugsquellen und mehr Energieeffizienz kompensiert werden.

Aktuell importiert Deutschland jährlich 125, die EU insgesamt 194 Milliarden Kubikmeter Gas aus Rußland. Eine teurere Alternative steht längst bereit: Flüssiggas (LNG), geliefert von Megatankern aus Katar und den USA. Das erklärt zudem, warum sich US-Republikaner und Demokraten in ihrer Ablehnung von Nord Stream 2 so einig sind.

Änderung der Gasrichtlinie (2009/73/EG):  ec.europa.eu/