© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Zeitschriftenkritik: Nordelbingen
Zweckentfremdung
Oliver Busch

Als man sich nach der im Versailler Vertrag diktierten Abtretung Nordschleswigs an Dänemark (1920) im Gebiet nördlich der Elbe wieder der „Werte der Heimat“ bewußt geworden war, riefen „Männer der Wissenschaft“ die Zeitschrift Nordelbingen ins Leben. 1923, im Jahr der Hyperinflation, kam der erste, mit einem optimistischen „Und dennoch!“-Vorwort eröffnete Band des neuen Periodikums heraus, das mit der Vermittlung der Kunst- und Kulturgeschichte der Provinz die deutsche Identität der Schleswig-Holsteiner festigen wollte.

Seitdem sind bald hundert Jahre vergangen und die Zeitschrift erscheint immer noch. Allerdings zeigen sich gewisse Ermüdungssymptome. Im letzten Herbst blieb der fällige Band 87/2018 sogar aus, und der Verlag mußte die Abonnenten wegen einer Finanzierungslücke um Geduld bitten. Kürzlich traf jener zwar ein, aber als Doppelband für 2018 und 2019. Ob es bei dieser kostengünstigeren Erscheinungsweise bleibt, ist aus Sicht des schrumpfenden Kreises der Bezieher unklar. Deren Freude an der Lektüre Nord-elbingens dürfte sich seit 2014 ohnehin in engeren Grenzen halten. Denn seitdem nutzt die Redaktion ihr Organ, um ein Alterswerk des Kunsthistorikers Ulrich Schulte-Wülwer, Direktor a. D. des Städtischen Museums in Flensburg, sukzessive unterzubringen. 

Vier von sechs Jahrgängen mit stolzen 1.250 Seiten inklusive einige hundert Reproduktionen von Gemälden und Zeichnungen setzen den Leser im wahrsten Sinne des Wortes ins Bild über „Kieler Künstler von 1770 bis 1945“. Statt ihrem Untertitel entsprechend vielfältige „Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins“ zu liefern, präsentiert die Zeitschrift so seit fünf Jahren reichlich monothematisch nur einen einzigen Beitrag. Keine Frage, daß ein Opus dieses Umfangs als Monographie auf dem Buchmarkt kaum zu einem akzeptablen Preis abzusetzen gewesen wäre. Ein Argument für die Zweckentfremdung einer renommierten Zeitschrift ist das nicht, deren Bezieher man dadurch zu Zwangsabonnenten von Schulte-Wülwers Kieler Kunstgeschichte degradiert. Zumal, wie die gleichzeitige Publikation des Werkes als Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte zeigt, dafür auch ein passenderer Rahmen zur Verfügung stand.

An der monumentalen, vom kolossalen Fleiß eines mit schier unerschöpflichen Zeitreserven ausgestatteten Unruheständlers zeugenden Arbeit gibt es hingegen wenig zu mäkeln. Dieses Lob gilt gerade für den Abschlußband, der die Kieler Kunstgeschichte der Weimarer Republik und der NS-Zeit abdeckt. Besonders erfreulich ist, daß der Alt-68er Schulte-Wülwer mittels „dichter Beschreibung“ (Clifford Geertz) Kunst- mit regionaler Zeitgeschichte verklammert, in schönster Komplexität vergegenwärtigt, und sich so selbst daran hindert, unverkennbare volkspädagogische Neigungen ins Kraut schießen zu lassen. 

Kontakt: Nordelbingen. Beiträge zur Kunst und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins, Boyens Buchverlag, Wulf-Isebrand-Platz 1-3, 25746 Heide. Der Band 87/88, 2018/19 umfaßt 480 Seiten, Abbildungen, 34 Euro.

 www.boyens-buchverlag.de