© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Die unterschätzte Gefahr aus dem Stall
Antibiotikaresistenzen verbreiten sich über Gülle und Abluft / Gesundheitsrisiko Massentierhaltung?
Mathias Pellack

Zweitausendvierhundert Menschen in Deutschland sterben jährlich an Bakterien, die resistent gegen mehrere Antibiotika sind. Schuld daran ist weniger schlechte Hygiene in einem Krankenhaus. Viel öfter kämen die widerstandsfähigen Keime aus „Hotspots für die Resistenzbildung“, wie Professorin Kornelia Smalla vom Julius-Kühn-Institut in Braunschweig sagt. Diese Brutstätten für multiresistente Bakterien seien in Deutschland vor allem Kläranlagen und Tiermastbetriebe. Die Professorin vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen stellte am Mittwoch vergangener Woche bei einer Veranstaltung des Leibniz-Forschungsverbundes ihre Erkenntnisse vor.

Der Titel fragte: „Antibiotikaresistente Keime in der Umwelt – ein Gesundheitsrisiko?“ Eine konkrete Antwort sprachen die Autoren zwar nicht aus, aber die Brisanz der Frage verdeutlicht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Warnung: Bis 2050 werde sich die Zahl der Toten durch multiresistente Keime weltweit verzehnfachen. Um das entstehende Problem besser erfassen zu können, sollen Ärzte laut WHO künftig bei von Bakterien verursachten Krankheiten wie Lungenentzündungen genau angeben, welcher Erregerstamm diese hervorrief, und gegen welche Antibiotikaarten er resistent ist.

Horizontale Genübertragung stärkt die Keime

Daß es nicht unbedingt bis 2050 dauern muß, bis die Zahl der Toten sich verzehnfacht, wird klar, wenn Smalla die Grundlagen der Resistenzweitergabe bei Bakterien erklärt. Die im menschlichen Maßstab unglaubliche Reproduktionsgeschwindigkeit von einigen Tagen bis mehreren Stunden ist dabei nicht ihre Hauptsorge. Denn die mikroskopisch kleinen Bewohner unserer Welt werden nicht nur durch Veränderungen ihrer Keimbahn fähig, neuartigen Lebensbedingungen, wie etwa einer gestiegenen Antibiotikakonzentration in ihrer Umwelt, zu widerstehen. Sie können ihre „Gene auch horizontal und über Artgrenzen hinweg übertragen“. Sie tun das, indem sie sogenannte Plasmide weitergeben – also meist ringförmige DNS-Stränge, die nicht zum Bakteriengensatz zählen. Diese Plasmide tragen die Informationen für verschiedenste Antibiotika-Abwehrkräfte. Ein Bakterium kann diese Ringe an unmittelbare Nachbarn weiterreichen. Eine Verbreitung der Widerstandsfähigkeiten erfolge überall dort, wo viele Bakterien zusammenkommen, wie in der Kläranlage oder dem Tiermastbetrieb. Dies seien Umgebungen, die zudem eine hohe Konzentration der Heilmittel aufweisen.

Erklärbar ist die große Menge des vermeintlichen Allheilmittels, weil 30 bis 90 Prozent der eingenommenen Wirkstoffe, je nach Art, den Verdauungstrakt chemisch unverändert durchlaufen und dann ins Abwasser gelangen.

Tierärzte und Landwirte sind besonders gefährdet

Die Tiermast schaffe „wahre Paradiese für vielfachresistente Bakterien“, erklärt der zweite Redner in der Berliner Urania, Bernd-Alois Tenhagen. „Wissen Sie, warum Tierärzte und Landwirte bei uns (in Deutschland) bei Verdacht auf Bakterieninfektionen immer gleich in Quarantäne kommen?“ Landtierärzte seien in der Hinsicht gar eine doppelte Risikogruppe, ergänzt der Tiermediziner in dem wie ein Kinosaal wirkenden Raum, wo seinen Ausführungen etwa 50 Laien lauschen. Sie hätten „häufigen Kontakt zu Mastvieh und zu Antibiotika“. Dabei seien vor allem die Masttiere betrachtenswert, solange keine Alternativen zu Antibiotika bestünden.

Seit dem EU-weiten Verbot 2006, die Heilmittel als Futterzusatz einzusetzen, um die Fleischproduktion zu erhöhen, und dem Inkrafttreten der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) 2008, die aufklären und Kompetenzen bündeln soll, habe sich die Lage zwar verbessert. Trotzdem wurden Tenhagen und seine Fachgruppe Epidemiologie vom Bundes­institut für Risikobewertung weiterhin vor allem bei Schlachtvieh fündig. Natürlich vorkommende Darmbakterien in Schweinen, Puten und Mastkälbern waren in acht von zehn Fällen gegen mindestens ein Antibiotikum resistent. Besonders stachen die Puten und Mastkälber heraus. Hier waren über 40 Prozent der Darmbakterien gar gegen vier oder mehr Antibiotika-Arten resistent.

„Dann haben wir geschaut, ob die Keime aus den Ställen auch herauskommen können, und wenn ja wie.“ Bei einer Überprüfung der Luft in Windrichtung des Stalls fanden die Forscher die widerstandsfähigen Keime auch noch Kilometer entfernt. Zur Begüllung der Felder hatte sich Smalla bereits geäußert. „Die Region zwischen Weser und Ems ist das Kernland der deutschen Fleischproduktion. Hier steht fast die Hälfte des deutschen Schlachtviehs.“ Dementsprechend viele resistete Keime befänden sich auf den Feldern.

Smalla appelliert an Tierärzte wie auch Humanmediziner, den Einsatz weiter zu reduzieren. „Bei einer einfachen Erkältung braucht man diesen Lebensretter nicht.“ Sie sehe auch Patienten und Konsumenten in der Pflicht, denn die verlangten regelmäßig danach – und nicht nur beim Arzt, auch beim Fleischeinkauf. „Jeder könne weniger Fleisch essen oder darauf achten, daß es ökologisch produziert wird.“ Das sei zwar teurer, dafür aber gesünder. Auch Tenhagen berichtet, daß ökologisch produzierende Mastbetriebe geringere Mengen der auch das Wachstum fördernden Heilmittel einsetzen. Im Vergleich zu 2011 verabreichten deutsche Tierärzte heute nur noch halb so viele Antibiotika. 

Weiterführendes zu Antibiotika-Resistenzen:

 www.bzga.de

 antibiotic.ecdc.europa.eu

 www.abda.de