© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/19 / 31. Mai 2019

Auf ein Wiedersehen
Digitalisierung auf dem Friedhof: QR-Codes und Microchips an Grabsteinen erweitern das Gedenken
Paul Leonhard

Seltsam: Ein Mann hält auf dem Friedhof sein Mobiltelefon an einen Grabstein, ein anderer das Tablet. Dann schauen sie sich interessiert ein Video an. In diesem erzählt der Verstorbene detailliert von seinem Leben. 

Die digitale Revolution verändert auch die Trauergewohnheiten und das Totengedenken. Während die einen dafür sorgen, daß sie nach ihrem Tod in der Anonymität verschwinden, indem sie sich auf dem Gelände eines Friedwaldes bestatten lassen, hinterlassen andere für die Nachwelt Spuren, die weit über Lebensdaten, Symbole, Fotogravuren oder einen Sinnspruch auf dem Stein einer Familiengruft hinausreichen: pixelige QR-Codes oder Microchips am Grabstein.

Kölner Friedhofsverwaltung erhebt Einspruch

Erstmals wurde ein solcher in Deutschland an der Grabstätte des Fabrikanten Peter Gustav Schaeben auf dem Kölner Melatenfriedhof installiert. Die Idee dazu hatte Heiko Hünemeyer, der Sohn eines Geschäftspartners des 1885 verstorbenen Unternehmers, dessen Gesundheitsgetränk „Kloserfrau Melissengeist“ noch immer gefragt ist. „Hünemeyer ließ die Ruhestätte zum Grabmal 2.0 aufrüsten und installierte einen Microchip, mit dessen Hilfe Smartphone-Besitzer auf Informationen über Schaeben zurückgreifen könnten“, berichtete Naturstein, die Fachzeitschrift für Steinmetze, Restauratoren und Denkmalschützer. Was in den USA und Japan längst Alltag ist, rief in Köln prompt den Denkmalschutz auf den Plan, der den Microchip an der gerade restaurierten Grabanlage wegen Verstoßes gegen die Denkmalschutzbestimmungen wieder entfernen ließ.

Schon vor sieben Jahren entwickelte der Kölner Bildhauer und Steinmetzmeister Andreas Rosenkranz ein Verfahren, bei dem mittels Sandstrahltechnik QR-Codes reliefartig in den Naturstein gearbeitet werden können. 2012 präsentierte er einen QR-Grabstein mit einem Kreuzrelief. Während Rosenkranz davon überzeugt ist, daß sich die Verwendung von QR-Codes auf den Friedhöfen durchsetzen wird, versuchte die Friedhofsverwaltung in Köln mittels einer neu formulierten Satzung die Verwendung der Codes auf städtischen Friedhöfen grundsätzlich zu untersagen. Die „fortwährenden Veränderungsmöglichkeiten der hinterlegten Informationsquellen und die zu vermittelnden Inhalte in dem besonderen Schutzraum Friedhof“ könnten durch die Verwaltung nicht kontrolliert werden.

Diese rechtlich gewagte Begründung ließ sich aber nicht halten. Ein QR-Code sei lediglich ein abstraktes zweifarbiges Gebilde und „nichts anderes als eine neue Schrift“ auf dem Grabstein, die überhaupt keinen Einfluß auf die Friedhofswürde habe, argumentiert beispielsweise Rechtsanwalt Thomas Schmitt von der Verbraucherinitiative für Bestattungskultur Aeternitas. „Ein generelles Verbot von Grabmalen mit QR-Codes würde die Kunstfreiheit beziehungsweise zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit der Totensorgeberechtigten oder Grabnutzungsberechtigten unverhältnismäßig einschränken.“ Auch bestehe keine Überprüfungspflicht der Darstellungen im Internet durch den Friedhofsträger.

Dieser Meinung ist auch der Deutsche Städtetag: „Grundsätzlich ist gegen die gestalterische Einbindung des QR-Codes in die Grabanlage beziehungsweise das Grabmal kein Verbot durch die Friedhofsverwaltung möglich, da dieser in seinem Aussehen als eigenständiges oder verbindendes Element der Grabgestaltung gesehen werden kann.“ Dieser Empfehlung folgte letztlich der Kölner Stadtrat, der die Novellierung der Friedhofssatzung ablehnte.

Auch Prominente unterstützen den neuen Trend. Fernsehmoderator Jean Pütz plant für seine Grabstätte bereits die Integrierung eines QR-Codes. „Wenn sie ihn mit dem Smartphone erfassen, lädt ein Video, das ich noch aufnehmen werde, bevor ich abkratze“, sagte der 82jährige dem Apothekenmagazin Senioren Ratgeber. Darin solle es heißen: „Dankeschön, es war ein wunderbares Leben. Mein Schicksal hat mir vieles gebracht, was ich nie für möglich gehalten hätte.“

„Sprechende Steine“ berichten vom Leben

Nicht durchsetzen dürfte sich in Deutschland dagegen eine Idee aus den Niederlanden, die wohl auch technisch überholt ist. Auf dem Friedhof der Kleinstadt Rhenen war im Mai 2007 erstmals ein Flachbildschirm in einen Grabstein eingearbeitet worden. Per Fernbedienung konnten sich Interessierte Bilder oder Texte aus dem Leben des Verstorbenen ansehen.

Für die Hinterbliebenen dürfte sich allerdings mit QR-Code und Microchips die Art und Weise der Trauerverarbeitung ändern, wenn sie künftig nicht mehr allein vor dem Grabmal innerlich ihre Erinnerungen an den Verstorbenen reflektieren, sondern dieser darauf wartet, daß seine Erinnerungen abgerufen werden. Und die Angehörigen prominenter Verstorbener haben zudem das Pech, daß jederzeit noch mehr fremde Friedhofsbesucher per App zu ihnen navigiert werden können. 

„Sprechende Steine“ sind übrigens keine Erfindung der Neuzeit. Schon vor Jahrhunderten berichteten Epitaphien aus Holz oder Stein ausführlich über die Lebensstationen und Verdienste der Verstorbenen. Und so sie nicht zerstört wurden oder ihre Inschriften durch Witterungseinflüsse oder Unkenntnis der Nachgeborenen unleserlich geworden sind, tun sie es auch heute noch.