© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Politische Weisungsgebundenheit von Staatsanwaltschaften
In der Vernunft der Sache
Günter Bertram

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs klingt auf Anhieb wie eine harsche Kritik an der deutschen Staatsanwaltschaft: Diese sei abhängig von Weisungen und deshalb rechtlich keine qualifizierte „Justizbehörde“ im Sinne des EU-Haftbefehlsverfahrens. Allerdings ist diese Art „Haftbefehl“ tatsächlich nur ein Fahndungsersuchen, das naturgemäß von einer Staatsanwaltschaft gestellt wird. Den eigentlichen Haftbeschluß erläßt in Deutschland das Gericht – oder eben nicht.

Es gibt aber auch EU-Mitgliedsländer, in denen die Staatsanwaltschaften Wachs in Regierungshand sind und die Gerichte schwach. Die meisten entsprechen in etwa unseren rechtsstaatlichen Vorstellungen: mit rechtlich gebundenen Staatsanwaltschaften und starken, unabhängigen Gerichten, die das letzte Wort haben. Die Luxemburger Richter dürften die aus ihrer Sicht unsicheren Kantonisten vor Augen gehabt und gemeint haben. Hier wird wohl der Sack geschlagen, und der Esel ist gemeint.

Wer ministerielle Weisungen ablehnt, dem kann man entgegenhalten, daß die Verantwortung für die Rechtsdurchsetzung beim Staat liegt und liegen muß; unbeschadet der Unabhängigkeit der Gerichte. Deshalb ist ein Weisungsrecht des Ministers als Ultima ratio kein Fleck auf unserer rechtsstaatlichen Weste, sondern liegt in der Vernunft der Sache.






Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.