© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Bundesregierung ringt um die Zukunft der Kohle
Energiewende: Kritik am Strukturstärkungsgesetz für die deutschen Abbauregionen / Sonderwirtschaftszone oder „Ausstieg vom Ausstieg“
Paul Leonhard

Die Bunderegierung will bis Ende 2022 den Atomausstieg vollziehen. Spätestens 2038 soll die deutsche Kohleverstromung enden. Und der grüne Erfolg bei der EU-Wahl dürfte die Eile noch anheizen. Daß Nachbar Polen nicht daran denkt, Kohlekraftwerke abzuschalten und ab 2033 sogar Strom aus Kernkraft gewinnen will, ignoriert die deutsche Politik. Zudem ist noch offen, wie es mit dem Kohleabbau bis 2038 weitergeht. Dazu gibt es weder von den SPD- und CDU Koalitionären Aussagen, noch steht etwas in den Eckpunkten für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“, auf das sich das Kabinett geeinigt hat.

Ansiedlung neuer Behörden und Strukturwandel-Modell

Bemerkenswert ist, daß der Bund nicht – wie die von ihm Experten berufnenen der Kohlekommission empfehlen – einen Staatsvertrag schließt, an den auch kommende Regierungen gebunden wären, sondern nur eine Bund-Länder-Vereinbarung über Strukturhilfen von 40 Milliarden Euro anstrebt.

Die vier betroffenen Bundesländer dürfen lediglich über 14 Milliarden Euro selbst verfügen. Wie das Steuergeld verteilt wird, ist klar: Nordrhein-Westfalen bekommt 37 Prozent für das Rheinische Revier. Für Strukturmaßnahmen in der Lausitz erhält Brandenburg 25,8 Prozent und Sachsen 25,2 Prozent. Für das Mitteldeutsche Revier in Sachsen-Anhalt sind zwölf Prozent vorgesehen.

Aufgabe der Länder ist es, Programme entsprechend ihren „Leitbildern für die Regionen“ zu erarbeiten. Überdies müssen sie sich an allen Vorhaben mit zehn Prozent der Kosten beteiligen. Das Gros der 26 Milliarden Euro will der Bund für eigene Vorhaben in den Kohleregionen ausgeben. Dazu zählen die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen und die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Das Bundesverkehrsministerium wurde beauftragt, ein „Infrastrukturgesetz Kohleregionen“ zu erarbeiten. Im Verkehrsetat sollen jährlich 1,3 Milliarden Euro für Revierprojekte bereitgestellt werden.

Durch die Ansiedlung neuer Behörden sollen 5.000 Arbeitsplätze bis 2028 entstehen. Wie frühere Kohlekumpel auf Verwaltungstätigkeit umgeschult werden sollen, bleibt das Geheimnis der Politik. 240 Millionen Euro hat Berlin bereits im April in einem Sonderprogramm als Soforthilfe freigegeben. Vorgesehen ist, daß auch das Helmstedter Braunkohlerevier in Niedersachsen sowie Standorte mit Steinkohlekraftwerken Geld erhalten. Bayern und Baden-Württemberg haben sich den Bau von Gaskraftwerken garantieren lassen.

Im Rheinischen Kohlerevier soll sich, so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), künftig die Technologieforschung zur Erhaltung der Versorgungssicherheit konzentrieren. Die Lausitz soll dagegen zu einer europäischen Modellregion für den Strukturwandel ausgebaut werden, im Mitteldeutschen Revier bei Leipzig soll ein Dreh- und Angelpunkt für die europäische Logistik entstehen. Der Flughafen Leipzig/Halle hat schon jetzt den größten Frachtbereich nach Frankfurt am Main – auch weil es hier kein Nachtflugverbot gibt.

Ein noch zu bildendes Koordinierungsgremium soll Bund und Länder bei der Umsetzung der Projekte beraten. Ziel ist es, daß das „Strukturstärkungsgesetz“ noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet wird. Allerdings gibt es starken Widerstand. Zum einen befürchten die anderen Länder, daß der Satz im Eckpunktepapier, der zusichert, daß die Hilfe für die Kohle­reviere „nicht zu Lasten der Entwicklung anderer Regionen Deutschlands gehen“ dürfe, nur Makulatur ist. Zum anderen halten Wirtschaftsexperten wie der Präsident des Leibniz-Instituts, Reint Gropp, das Konzept für „rausgeschmissenes Geld“.

Staatliche Planwirtschaft könne keinen Wirtschaftsaufschwung herbeizaubern, warnt der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst. Es fehle ein „hochattraktives Gesamtpaket für private Investoren – am besten in einer Sonderwirtschaftszone“. Firmen müßten von Bürokratie und Auflagen befreit werden, ihnen sollten steuerliche Anreize und schnellere Genehmigungen in Aussicht gestellt werden. „Erst müssen neue Arbeitsplätze tatsächlich entstanden sein, bevor über ein Kohleausstiegsszenario entschieden werden kann.“

Ähnlich sieht es Sachsens Staatskanzleichef, Oliver Schenk, der vom Bund fordert, „noch etwas mutiger zu werden“, indem Anhörungs- und Vorlagenfristen verkürzt werden. Ostdeutsche CDU-Bundestagsabgeordnete bezeichneten den Gesetzesentwurf als „nicht zielführend“. Als Altmaier seinen Plan über die Strukturhilfen der Bundestagsfraktion vorstellte, sei es sehr turbulent zugegangen, berichtete das Handelsblatt. Befürchtet werde, daß die Minister für Bildung, Wirtschaft und Verkehr die Projekte und Programme mit ihren laufenden Etats stemmen und damit den Ausstieg aus der Kohle bezahlen.

Der AfD, die in den Kohleausstiegsregionen schon jetzt überdurchschnittlich erfolgreich war, dürfte das Wahlkampfmunition für den Herbst liefern: Sie ist die einzige Partei die die klar fordert: „Deindustrialisierung stoppen – Ausstieg aus dem Kohleausstieg.“

Abschlußbericht der Kohlekommission:  bmu.de