© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/19 / 07. Juni 2019

Aus der Luft gegriffen
Feminismus: War William Shakespeare in Wahrheit eine italienische Küchenhilfe?
Richard Stoltz

In England ist der Radikal-Feminismus jetzt dazu übergegangen, die britische Nationalkultur, besonders die Literatur, zu „feminisieren“, also umzuschreiben, sämtliche Qualitäten neu zu verteilen, alle auffälligen Leistungen in weibliche Hände zu spielen. Den großen Shakespeare, so heißt es deshalb neuerdings  in Aufsätzen und auf Tagungen, habe es gar nicht gegeben. Eine Frau hätte all die unsterblichen Tragödien und Komödien geschrieben, den „Hamlet“, „Romeo und Julia“, „Julius Cäsar“ …

Ein grotesker Streit bahnt sich an. Die einen sagen, die wahre Autorin der Stücke sei eine vigilante kleine, als Küchenhilfe im „Globe Theatre“ angestellte Italienerin gewesen, die von dem tumben Hausdirektor namens W. S. brutal ausgebeutet wurde.  Die anderen sagen, die Autorin sei keine andere  als die britische Königin Elisabeth I. Weder für die eine noch für die andere Behauptung gibt es auch nur den geringsten Beweis. Die seriöse Shakespeare-Forschung steht zwar vor vielen schier unlösbaren Rätseln, doch auf puren, völlig aus der Luft gegriffenen Unsinn sollte sie sich nicht einlassen.

Selbst manche Feministinnen kommen durch die „Shakespeare-Debatte“ in Verlegenheit, denn  ihnen geht es nicht um grundsätzliche weibliche Überlegenheit, sondern um Gleichheit, um „Gleichbehandlung“. Männlich oder weiblich, Yin oder Yang, das sei doch – verlautbarte kürzlich eine Londoner Romanschreiberin – nur die Illusion männlicher Überheblichkeit. Sie selbst lege ihre Romane so an, daß der Leser bis zum Ende nicht wisse, ob der oder die Ich-Erzähler männlich oder weiblich sind. Nur so ließe sich wahre Literatur gestalten.

Arme Romanschreiberin! Aus ihrer Perspektive gesehen steht Shakespeare natürlich von vornherein auf der Seite der Unliteratur. „Romeo und Julia“ und viele weitere seiner Stücke leben ja geradezu von Yin und Yang, von der existentiellen Differenz der Geschlechter und ihrer notwendigen gegenseitigen Ergänzung und Komplettierung. Genau das hat ihn groß gemacht. Um das zu erfahren, bedarf es keiner Feminismus-Debatten.