© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

„Da muß ich Ihnen widersprechen“
Als junger Mann erlebte Gert Hoffmann den Kalten Krieg in Berlin, engagierte sich in der NPD, wechselte zur Union und wurde ein erfolgreicher Kommunalpolitiker. Nun hat der CDU-Konservative seine Memoiren vorgelegt
Moritz Schwarz

Herr Dr. Hoffmann, in Ihrem Buch „Von Irrwegen in die Verantwortung“ beschreiben Sie Ihren Weg in die NPD und später zur CDU. 

Gert Hoffmann: Ja, ich muß einräumen, daß ich damals – 1967 trat ich als 21jähriger der NPD bei und wurde rasch Vizevorsitzender ihrer Studentenvereinigung – wirklich rechtsradikal war. Ich hatte eine idealisierte, emotionale Vorstellung von der Wehrmacht, aber auch von Volk und Vaterland, und pflegte einen strikten Antikommunismus. Da fühlte ich mich in der NPD seinerzeit gut aufgehoben.

Ging Ihr Wechsel zur CDU 1970 mit einem Bruch mit diesen Vorstellungen einher oder war es vielmehr eine Mäßigung?

Hoffmann: Mit der Übersteigerung meiner damaligen politischen Ideale hatte ich schon gebrochen. Ansonsten war es eher ein schrittweiser Politikwechsel. Wobei mir den Parteiwechsel der Umstand erleichtert hat, daß die Union auch einen erbitterten Kampf gegen die „Neue Ostpolitik“ führte. Da habe ich noch lange leidenschaftlich mitgefochten. Erst in den achtziger Jahren realisierte ich, daß die Möglichkeit einer Revision der Oder-Neiße-Grenze immer eine Illusion gewesen war.  

Inzwischen sind Sie fast ein halbes Jahrhundert CDU-Mitglied. Fühlen Sie sich dort noch wohl? 

Hoffmann: Ja, auch nach 49 Jahren noch. 

Aber seitdem – damals war noch Kurt Georg Kiesinger Parteivorsitzender – hat sie sich doch massiv verändert.

Hoffmann: Sogar mehrfach – allerdings ich auch. Was normal ist in einer Welt, die sich ständig wandelt. Andererseits aber habe ich auch einige der Kurswechsel meiner Partei kritisch gewürdigt, nicht zuletzt etliche der Entscheidungen Angela Merkels, wie die Abschaffung der Wehrpflicht, die Griechenland-Rettung, die überstürzte, fast panische Energiewende oder die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015. Aber nun gibt es eine neue Entwicklung – in die richtige Richtung. 

Wie kommen Sie darauf? 

Hoffmann: Denken Sie etwa an die 48 Prozent für Friedrich Merz auf dem letzten Parteitag im Dezember, das starke Ergebnis für Jens Spahn oder die Berufung Paul Ziemiaks zum Generalsekretär. Das zeigt, daß eine Besinnung auf den Markenkern in der CDU im Gange ist und daß konservative Meinungen wieder Gewicht finden.

Meinen Sie das ernst?

Hoffmann: Natürlich, erinnern Sie sich doch an den Weg der Partei in den vergangenen zehn Jahren! Die eben genannten Fakten zeigen, daß es in einem großen Teil der Partei offensichtlich ein Bedürfnis gibt, den bisherigen Weg so nicht fortzusetzen.     

Gewählt hat die Partei aber Annegret Kramp-Karrenbauer, die – im Gegensatz zu Friedrich Merz – vielen als Garantin für die Fortsetzung des Merkel-Kurses gilt. Wieso kommen Sie zu einem anderen Schluß?

Hoffmann: Aber nur eine knappe Mehrheit war für Kramp-Karrenbauer. Das wird sie bei ihrer Politik berücksichtigen. Und deshalb wird es kein: „Weiter so“ geben. Allerdings muß das auch durch den baldigen Wechsel im Kanzleramt deutlich werden!  

Warum findet sich in Ihrem Buch nicht mehr grundsätzliche Kritik an der Entwicklung der Union? 

Hoffmann: Meine „Erinnerungen“ enden mit meinem Amtsende als Oberbürgermeister von Braunschweig im Jahr 2014. Ich habe jedoch mit meiner Kritik an der Bundeskanzlerin zu meiner aktiven Zeit nicht hinterm Berg gehalten und diese schon 2011 in einem offenen Brief an sie zusammengefaßt. Was damals ja zu einer gewissen Medienaufmerksamkeit geführt hat und dazu, daß sie mich anrief und es zu einer persönlichen, sehr offenen Aussprache mit ihr kam. Das schildere ich im Buch ja im einzelnen.  

Als Sie 1970 der CDU beitraten galt noch der Primat von Nationalstaat, Volk und Tradition, im Sinne des Grundgesetzes. Heute dagegen rangieren dort an erster Stelle Ausbau der EU, Wandel zum Einwanderungsland und „Modernisierung“ der Gesellschaft – von Beobachtern von links bis rechts „Sozialdemokratisierung“ oder „Vergrünung“ genannt. Wie passen Sie da noch in die Partei? 

Hoffmann: Zweifellos gab es die Tendenz, vor allem auch einmal mit den Grünen zu koalieren. Aber dies und die „Sozialdemokratisierung“ im Bund ist doch stark mit Angela Merkel verbunden, und die Partei orientiert sich nun um. Was dagegen Debatten zur sogenannten Relativierung von Volk und Nation angeht, muß ich widersprechen: Solche hat es in der CDU nie gegeben! Vielmehr gilt für uns seit je sowohl das Bekenntnis zur Nation wie zu Europa – und das war früher kein Gegensatz und ist es auch heute nicht. 

Darüber debattiert die Union in der Tat nicht. Statt dessen transferiert sie seit Jahrzehnten, nämlich von EU-Vertrag zu EU-Vertrag, immer mehr nationale Souveränität. Voraussichtlich bis wir eines Tages in eine Art De-facto-EU-Staat übergegangen sind, ohne daß das je offen und eindeutig debattiert und in seiner Gänze demokratisch beschlossen worden wäre. Beweis dafür, daß dies keine Verschwörungstheorie ist, ist der Umstand, daß die Politikwissenschaft solche Prozesse mit dem Begriff „Institutionalismus“ beschreibt.

Hoffmann: Ich kenne wirklich so gut wie niemanden in der Partei, der eine Auflösung des Nationalstaats zu Gunsten der EU befürwortet. Das erlebe ich höchstens als eine von außen an uns herangetragene Scheindebatte.

Früher sprachen Politiker, zum Beispiel Willy Brandt, noch von „den Deutschen“. Heute sprechen sie, auch die der CDU/CSU, nur noch von „den Menschen in Deutschland“. Und das hat Ihrer Meinung nach nichts zu besagen?

Hoffmann: Nein, das mißinterpretieren Sie.   

Wenn CDU/CSU Werte wie Nation, Volk,Tradition und Familie nicht stillschweigend aufgegeben hätten, wie könnte die AfD dann davon profitieren und diese besetzen? Belegt deren Erfolg also nicht auch, daß da offenbar ein fundamentaler kultureller Wandel in der Union stattgefunden hat?  

Hoffmann: Ihre Analyse trifft nicht zu. Denn die AfD wird von der relevanten Zahl ihrer Wähler nicht aus einem solchen Grund gewählt. Vielmehr stimmt die Masse ihrer Wähler aus praktischen Gründen für diese Partei: nämlich wegen der Fehler, die die Regierungsparteien bei ihrer konkreten Politik gemacht haben – zum Beispiel bei der Griechenland-Rettung oder den Entscheidungen des Jahres 2015. Das aber sind ganz andere, nämlich handfeste Motive als jene theoretischen, die Sie benennen. Und leider sind diese Motive auch nicht ganz unverständlich.

Dann trennen die AfD und die Union nur unterschiedliche Auffassungen in praktischen Fragen, nicht aber unterschiedliche Wertvorstellungen?

Hoffmann: Doch, das schon. Nur sind das ideologische Elemente, die die AfD und andere, etwa Journalisten – so wie Sie jetzt gerade –, beimischen. Wenn Sie aber in die Fußgängerzonen gehen und Wahlkampf machen, dann fragt Sie kein Mensch nach Ideologie! Glauben Sie mir das als jemandem mit Jahrzehnten Erfahrung in Wahlkämpfen und in der Kommunalpolitik. Was ich allerdings, gemäß meinen Erfahrungen während meiner Zeit als Regierungspräsident in Dessau, einräume, ist, daß sich im Osten der Kritik der Bürger an der aktuellen Politik noch etwas Besonderes beimengt: nämlich Frustration und Enttäuschung über Entwicklungen nach der Wiedervereinigung. Da haben wir Befindlichkeiten vernachlässigt, und das rächt sich jetzt. 

Das ist nicht zu bezweifeln, ändert aber doch nichts daran, daß gesellschaftspolitische Vorstellungen und Auseinandersetzungen auf anderer Ebene als im Straßenwahlkampf von erheblicher Bedeutung sind. 

Hoffmann: Ja, zugegeben. Mir geht es allerdings nicht darum, Probleme im Lande nicht wahrhaben zu wollen, im Gegenteil. Ich bin gebürtiger Berliner und in Kreuzberg aufgewachsen. Damals hätte sich niemand vorstellen können, daß der Bezirk nur wenige Jahrzehnte später die größte türkische Kommune außerhalb der Türkei beheimaten würde. Vor einiger Zeit war ich wieder dort, bin die Straßen abgegangen, bis zu unserem Sportplatz. Heute hören Sie da kaum mehr einen deutschen Satz! Aber das ist nicht das, was viele Menschen in erster Linie beunruhigt, sondern vielmehr der Verlust an Kontrolle und Sicherheit, der mit Einwanderung einhergehen kann, wenn sie sich so vollzieht wie 2015. Das, und nicht weltanschauliche Diskrepanzen beschäftigt die Menschen. Wichtig für die Parteien ist es, diese konkreten Probleme endlich wahrzunehmen und darauf effektiv und problemlösend zu reagieren. Und wenn wir das nicht tun, dann geht ein Teil der unzufriedenen Wählerschaft eben zur AfD.

Aus weltanschaulicher Überzeugung sind Sie vor 52 Jahren der NPD beigetreten. Hat Sie diese Erfahrung veranlaßt, weltanschaulichen Fragen heute lieber keine Beachtung mehr zu schenken? 

Hoffmann: Natürlich habe ich meine Auffassungen seit 1969 geändert. Wobei, und das beschreibe ich ja im Buch, für mich das Scheitern der NPD an der Fünf-Prozent-Hürde – 4,3 Prozent am Wahlabend, obwohl wir uns zuvor schon im Bundestag gesehen hatten –, ein Moment der Ernüchterung war, durch den bei mir erst da ein notwendiges Reflektieren einsetzte. Beigetreten war ich der NPD allerdings nicht aus intellektuell-ideologischen Gründen, sondern im Gegenteil aus jugendlichen Emotionen und Leidenschaften heraus, die bei mir unter anderem durch die Erlebnisse in der Frontstadt Berlin entfacht wurden. Ich erlebte dort aufwühlende Ereignisse hautnah mit wie den Bau der Mauer im August und die Panzerkonfrontation von US- und Roter Armee am Checkpoint Charlie im Oktober 1961, oder die Ermordung Peter Fechters an der Mauer 1962. Und auch die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 durch die Russen hat enormen Eindruck bei mir hinterlassen. Dazu kamen aber noch weitere Gründe, die im Geist der damaligen Zeit wurzeln und die ich im Buch beschreibe.  

Als besonderen Verdienst Ihres späteren politischen Wirkens als Oberbürgermeister erscheint aus konservativer Sicht der Wiederaufbau des Welfenschlosses in Braunschweig 2004 bis 2007, den Sie durchgesetzt und mit dem Sie den in Berlin, der immer noch andauert, überflügelt haben.

Hoffmann: In der Tat war der Wiederaufbau über Braunschweig hinaus ein wichtiges Signal – auch und gerade für den des Schlosses in Berlin. Auch wir erlebten die übliche Debatte, ob man so etwas überhaupt „dürfe“. Oder ob das nicht ein Aufbegehren gegen die Folgen des Zweiten Weltkrieges sei. Uns ist es dann gelungen, mit der Wiedererrichtung darauf eine deutliche Antwort zu geben, nämlich: Ja, man darf! Wenn auch, bis heute, zum Schrecken der meisten Feuilletonisten – wie ich mit einem Augenzwinkern anmerken möchte.






Dr. Gert Hoffmann, Geboren 1946 in Berlin, trat er 1967 der NPD bei, war Vizevorsitzender der Studentenorganisation NHB (Nationaldemokratischer Hochschul-Bund) und Mitarbeiter der Wahlkampfmannschaft zur Bundestagswahl 1969. Ende jenes Jahres verließ er die Partei, 1970 trat er in die CDU ein. Nach dem Jurastudium war er unter anderem als Stadtdirektor in Gifhorn tätig, ab 1991 als Regierungspräsident im Regierungsbezirk Dessau – wo er etliche Impulse setze, etwa den Umzug des Umweltbundesamtes dorthin anregte. Danach sollte er zum Chef des Liegenschaftsamtes der Treuhandanstalt berufen werden, was aber an der Presse scheiterte, die seine NPD-Mitgliedschaft thematisierte. 2001 wurde er Oberbürgermeister in Braunschweig und 2006 im ersten Wahlgang wiedergewählt. 2014 ging er in Pension und 2018 veröffentlichte seine Erinnerungen: „Von Irrwegen in die Verantwortung. Zeitzeuge und Gestalter in bewegten Zeiten“ (JF 19/19).

Foto: Hoffmann als Oberbürgermeister, gemeinsam mit Hohenzollernchef Prinz Georg von Preußen (li.) und Gästen, wiederaufgebautes Welfenschloß in Braunschweig: „Besinnung auf den Markenkern der CDU“