© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Altlasten aufarbeiten
Sudetendeutsche: Beim Pfingsttreffen fordert Tschechiens Botschafter einen „gemeinsamen Blick nach vorne“
Gernot Facius

Für Bernd Posselt (CSU), den Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), war es eine „kleine Sensation“. Soeben hatte der tschechische Botschafter in Berlin, Tomas Jan Podivinsky, ein freundliches Grußwort an die in der Regensburger Donau-Arena versammelten „lieben Landsleute, Nachbarn und Freunde“ gerichtet. Das sei ein weiterer Schritt auf „unserem Weg der Verständigung“, freute sich Posselt,  

Bisher war Podivinsky der stumme Gast auf den großen SL-Treffen, jetzt würdigte er in wenigen Sätzen die „aufkommende Freundschaft“, obwohl es noch spitze Stolpersteine gebe. Der Diplomat gab sich dennoch „felsenfest“ überzeugt: „Es liegt eine gute Zukunft vor uns.“ Die Voraussetzung: Kein einseitiger Blick in die Vergangenheit, sondern ein gemeinsamer Blick nach vorne. Der Satz, darin waren sich Teilnehmer des 70. Sudetendeutschen Tages einig, läßt sich auch als Appell interpretieren, das Problem der fortbestehenden Unrechtsdekrete des tschechischen Nachkriegspräsidenten Eduard Benesch nicht länger in den Vordergrund zu stellen. 

Auf eine Aufarbeitung dieser politischen Altlast bestehen aber viele Vertriebene, das ließ sich unter anderem an den Unterschriftenlisten erkennen, die in der Halle kursierten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird jetzt an seinem Versprechen gemessen werden, dem „vierten Stamm“ des Freistaats einen „imaginären Platz“ an seinem Kabinettstisch einzuräumen. 

AfD wird in Regensburg ein Stand verweigert

In Regensburg, der Patenstadt der sudetendeutschen Volksgruppe,  70 Kilometer von der Grenze zu Böhmen entfernt,  schob sich ein weiteres Problem in den Vordergrund: Die alte Idee eines Sudetendeutschen Tages in der Tschechischen Republik wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) neu ins Gespräch gebracht. 

„Unannehmbar“, donnerte prompt der Prager Premier Andrej Babis (Partei ANO), der sich gern seiner guten politischen und wirtschaftlichen Verbindungen nach Bayern rühmte: „Ich würde das als eine Provokation betrachten. Ich hoffe, daß dieser Gedanke nicht ernst gemeint war“, schrieb Babis der Tageszeitung Pravo. Er ist auf die Unterstützung durch die Kommunisten angewiesen, die seine Minderheitsregierung tolerieren. KP-Chef Vojtech Filip bezeichnete den Seehofer-Vorschlag ebenfalls als Provokation. 

Für Miroslav Kalousek, Fraktionschef der konservativen TOP 09-Partei, ist noch nicht die Zeit gekommen, um die Idee des Bundesinnenministers zu realisieren. Der Dialog müsse noch weiter voranschreiten, damit es nicht zu „überflüssigen Leidenschaften kommt, die den immer besser werdenden Beziehungen eher schaden können“. 

Skeptisch zeigte sich auch der Fraktionschef der an der Moldau mitregierenden Sozialdemokraten, Jan Chvojka. „Ich denke“, sagte Chvojka, „daß so viele Jahre nach dem Krieg und dem Abschub keine der beiden Seiten eine weitere Geste braucht. Schon gar nicht eine, die die gegenseitige Verständigung ins Wanken geraten lassen könnte“. Eine  Anspielung auf Befürchtungen, Kommunisten und Nationalisten könnten von der Zustimmung zu einem Sudetendeutschen Tag in Böhmen oder Mähren profitieren. 

Positiv aufgenommen wurde die Idee hingegen von den Christdemokraten. Sie würden ein solches Projekt als „symbolischen Punkt hinter dem gegenseitig zugefügten Unrecht“ betrachten. Für Ex-Kulturminister Daniel Herman, in Regensburg zugegen, wäre das Vorhaben eine „logische Fortsetzung der Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen“.Herman, der im Holocaust Familienmitglieder verloren hat, warnte vor dem Kollektivschulddenken: „Es sind immer konkrete Menschen mit eigener Verantwortung, die sich für ihr Leben und ihre Taten rechtfertigen müssen.“ 

Zudem wurde in Regensburg die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch (München), mit dem Karls-

preis, der höchsten Auszeichnung, die die Landsmannschaft zu vergeben hat, geehrt. Knobloch warnte vor der Gefahr, daß Parlamente in die Hände derjenigen fallen könnten, „die nur die Fehler der Vergangenheit wiederholen wollen“. Dies wurde, wie bereits ihre Rede anläßlich des Holocaust-Gedenkens im Bayerischen Landtag, als Kritik an der AfD gedeutet, der sie Verbindungen ins rechtsextreme Milieu unterstellt. SL-Sprecher Posselt nannte die Ansprache „mutig“. 

Der AfD war auf dem Sudetendeutschen Tag ein Stand verweigert worden. Argument: „Wir verlangen von allen, die auf unserem Messegelände etwas veranstalten wollen, eine klare Abgrenzung von Links- und Rechtsextremisten.“ In Regensburg wurde der Vertriebenenvereinigung der AfD quasi in letzter Minute ihr bereits angemietetes Veranstaltungslokal vom Gaststätteninhaber gekündigt; es waren Drohungen eingegangen. 

Auf Distanz ging die SL zu ihrer Karlspreisträgerin von 2010, Erika Steinbach; die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete, sympathisiert heute mit der AfD.  Posselt: „Die Frau hat sehr große Verdienste gehabt. Über ihre heutige Tätigkeit will ich nichts sagen.“