© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

„Immer mehr Menschen kennen uns“
Werte-Union: Der konservative CDU-Flügel ist in den Medien präsent wie lange nicht / Zweite Jahresversammlung am Samstag
Christian Vollradt

In der CDU ist es ein Mantra: Wir sind die Volkspartei der Mitte, Flügel – wie bei der SPD das Netzwerk der Linken oder die „Seeheimer“ mit ihren eigenen Sprechern – gibt es bei uns nicht. Zwar war durchaus nicht zu verhehlen, daß die Sozialausschüsse, die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), eher den linken Rand des innerparteilichen Spektrums abdeckte und sich dessen Gegenstück in der Mittelstandsvereinigung (MIT) oder früher noch stärker bei der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV) sammelte. Doch achtete man an der Spitze der Partei stets darauf, daß diese offiziellen Gruppierungen in erster Linie als Repräsentanten der jeweiligen Sparteninteressen – der Arbeitnehmer, der Unternehmer oder der Vertriebenen – auftraten. Mit den Jahren wurden diese Vereinigungen für die Außendarstellung immer weniger relevant, der konservative Unions-Teil ohnehin marginalisiert. Begonnen hatte dies bereits unter Helmut Kohl, vollendet wurde es in der Ära Angela Merkel.

„Wir sind frei, weil finanziell unabhängig“ 

Einen gewissen Bruch erfuhr diese nahezu lineare Entwicklung vor gut zwei Jahren, als sich mehrere konservative Basisinitiativen zusammenschlossen. Die daraus hervorgegangene Werte-Union (WU), die sich am Samstag in der Nähe von Stuttgart zu ihrer zweiten Jahresversammlung trifft, hat heute 2.000 Mitglieder in 16 Landes- und zwei Dutzend Regionalverbänden. Obwohl die Werte-Union gemessen an der Mitgliederzahl der Partei nur einen kleinen Ausschnitt abbildet und sie praktisch keine realistische Chance hat, als Vereinigung den Segen „von oben“ zu bekommen, ist ihre mediale Präsenz nicht zu übersehen. Kaum ein Beitrag zum Innenleben der CDU oder zu programmatischen Streitpunkten, in dem nicht der WU-Vorsitzende Alexander Mitsch zu Wort kommt.

Prominente Zugänge wie der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen oder der bekannte Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt erhöhten den Bekanntheitsgrad noch einmal. Anders als bei früheren Vereinigungen mit vergleichbarem Anspruch – etwa zu Beginn der neunziger Jahre das Christlich-Konservative Deutschland-Forum – verfing der Versuch, die Unions-Rechten in die Schmuddelecke zu stellen, nicht. Aktuelles Indiz dafür: Redner auf dem diesjährigen Treffen am Samstag ist neben dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, auch der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg und CDU-Bundesvize Thomas Strobl.

Kein Wunder, daß nicht zuletzt die gehäufte Präsenz in der Presse die Widersacher in der Partei provoziert. Da moniert man dann die fehlende demokratische Legitimation des Verbands und phantasiert von einer angeblichen Mehrheit von Nicht-CDU-Mitgliedern in der WU. Tatsächlich sind die in ihr Engagierten zu 80 Prozent Mitglied in der CDU, zehn Prozent in Unionsvereinigungen, weitere zehn Prozent sind CSU-Fördermitglieder.

Als Gegengewicht zu den lauter gewordenen und mehr beachteten Konservativen wurde die sogenannte Union der Mitte ins Leben gerufen, deren Existenz sich in erster Linie auf das Virtuelle beschränkt, verstärkt durch einige prominente Stimmen, die sich dann in den sozialen Netzwerken zu Wort melden. 

Dazu zählen etwa der frühere Kurzzeit-Generalsekretär Ruprecht Polenz oder die Hamburger CDU-Politikerin Karin Prien, derzeit Kultusministerin in der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition. Eine juristische Bauchlandung absolvierte der Union-der-Mitte-Aktivist Frank Sarfeld: Er mußte kürzlich eine Unterlassungserklärung unterzeichnen, wonach er nicht mehr behaupten werde, die meisten Mitglieder der Werte-Union seien nicht CDU-Mitglied (JF 22/19). 

Über zu wenig Aufmerksamkeit können sich Alexander Mitsch und seine Mitstreiter wirklich nicht beklagen. Ob sie feststellen, Hans-Georg Maaßen eigne sich hervorragend als Bundesinnenminister, oder fordern, Friedrich Merz und CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer sollten einen Posten im Kabinett bekommen, ob sie für die  Auflösung der Großen Koalition samt Bildung einer Minderheitsregierung der Union plädieren oder für längere Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke: Stets ist eine Erwähnung in überregionalen Medien garantiert. Jüngstes Beispiel: die innerparteiliche Initiative für eine Urwahl des nächsten Kanzlerkandidaten.  

Nach der nicht gerade erquicklichen Europawahl diktierte eine reichlich genervte CDU-Vorsitzende den Journalisten in die Blöcke: Jeder in der Union vertrete Werte; eine Werte-Union brauche es deswegen eigentlich nicht. Gemäß dem Credo, daß auch negative Werbung gute Werbung sei, empfanden nicht wenige dieses Mosern der Vorsitzenden als einen weiteren Ritterschlag. Und als wie zum Beweis dessen auch noch Parteimitarbeiter im Adenauerhaus in einer ersten Analyse die Verluste für die CDU bei der Europawahl der angeblich nach rechts gerückten Jungen Union sowie der oft zitierten WU in die Schuhe schoben, sahen sich manche dort stolz als auf Augenhöhe mit dieser 100.000-Mann-Organisation hofiert.

„Immer mehr Menschen kennen uns und trauen sich auch, ihre Sympathie für unsere Positionen offen zu vertreten“, freut sich WU-Chef Mitsch im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Ermutigend seien in diesem Zusammenhang die Beitritte prominenter Christdemokraten sowie einzelner Landtags- und Bundestagsabgeordneter gewesen. „Natürlich sieht uns die Parteiführung kritisch, weil wir für sie unbequem sind“, ist sich das Vorstandsmitglied der Rhein-Neckar-CDU bewußt. Die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit der WU „gibt uns aber genau die Freiheit, unsere Positionen unbeeinflußt zu vertreten“. Noch vor wenigen Jahren habe er nicht geglaubt, daß solch ein konservativ-wirtschaftsliberaler Zusammenschluß einmal notwendig sein würde. „Mittlerweile bin ich überzeugt davon, daß wir nur durch dieses starke Gegengewicht wieder zu einer vernünftigen Politik kommen werden.“ Die Mutterpartei habe ihr politisches Profil weitgehend aufgegeben. „Viele Bürger erwarten aber von der Politik klare Kante zur Lösung unserer Probleme. Sie finden sich in der derzeitigen Unionspolitik nicht mehr wieder und haben entweder gar nicht mehr gewählt oder sind zur AfD gegangen“, stellt Mitsch gegenüber der JF fest. Von der unterscheide man sich vor allem in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Man teile nicht die merkwürdige Affinität mancher AfD-Politiker zu Wladimir Putin. Daher befürworte man derzeit auch keine schwarz-blauen Koalitionen. 

Andererseits, betont der WU-Vorsitzende, „laufen wir auch nicht dem vermeintlichen grünen Zeitgeist hinterher, sondern setzen uns für eine Politik ein, in der sich auch Konservative und Wirtschaftsliberale wiederfinden, etwa Innere Sicherheit, Senkung von Steuern und Abgaben sowie Begrenzung und Steuerung der Einwanderung. Und im Vorfeld des zweiten Jahrestreffens kündigt Mitsch an: „In den nächsten Monaten werden weitere bekannte Persönlichkeiten zur Werte-Union stoßen. Wenn wir weiter so stark und qualifiziert wachsen, wird man unsere Positionen nicht mehr übergehen können.“