© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Das Kreuz mit dem Klima
Hauptsache CO2-Einsparung: Naturschutzaspekte werden übergangen
Martina Meckelein / Christian Rudolf

Die deutsche Automobilindustrie stöhnt schwer unter den Vorgaben der Politik. Bis 2022 sollen eine Million E-Autos auf deutschen Straßen fahren.  Das Ziel ist unerreichbar, zum 1. Januar dieses Jahres besaßen die Deutschen erst 83.175 reine E-Autos. Aber die Politik will es so, um des Klimaschutzes willen – auch wenn es Arbeitsplätze kostet. Gedämmte Häuser können bei Brand im Nu lichterloh in Flammen stehen, die Dämmstoffe werden irgendwann zu Sondermüll. Windräder schreddern Hunderttausende Vögel. Alles unter dem Siegel „klimaneutral“. Der Umwelt- und Naturschutz gerät dagegen ins Hintertreffen. Lobbyisten und Klimafanatiker geben seit Jahren der Politik den Takt vor. Deutschland wird zum Vorreiter in der Naturzerstörung.

Papiertüte

Hieß es erst Jute statt Plastik, ist jetzt das Papier Herzenskind der Klimafanatiker. Weg mit der Plastiktüte, her mit dem braunen Papierbeutel, so ihr Mantra. Nur sieht die Öko-Bilanz des Papieres eben gar nicht so grün aus.

Laut Umweltbundesamt stagniert der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier in Deutschland bei 243 Kilogramm im Jahr. Weltweit steigt er, allerdings auf niedrigem Niveau (rund 40 Kilogramm). Laut World-Watch-Institute liege der Mindestbedarf an Papier zur Befriedigung der Grundbedürfnisse für Bildung, Kommunikation und Hygiene jährlich bei 30 bis 40 Kilogramm Papier pro Person (1999). Zur Herstellung einer Tonne Papier wird genausoviel Energie benötigt wie zur Herstellung einer Tonne Stahl, so das World-Watch-Institut. Damit ist die Papierindustrie der fünftgrößte Energieverbraucher der Welt. Zur Herstellung einer Plastiktüte wird nur halb soviel Energie verbraucht. Allerdings ist in der Praxis ein Vergleich der Herstellungsenergie für ein Kilogramm eines Werkstoffes nicht relevant, so das Kunststoff-Technik-Unternehmen Hunold-Knoop. Das Gewicht des Produktes sei entscheidend.

E-Autos

Die CO2-Emissionen von E-Autos werden in der Werbung mit 0 Gramm pro Kilometer angegeben. Schließlich fehlt der Auspuff. Eine Milchmädchenrechnung. Denn selbstverständlich ist das E-Auto nur lokal emissionsfrei, nicht generell: Im April veröffentlichte das Ifo-Institut Berechnungen des Kölner Physikers Christoph Buchal und des ehemaligen Ifo-Chefs Hans-Werner Sinn. Ergebnis: Im ungünstigsten Fall belastet das E-Auto die Umwelt um 28 Prozent stärker als der Dieselantrieb. Verglichen werden die CO2-Emissionen eines Tesla Model 3 mit dem Mercedes C 220d, und zwar unter Betriebs- und Produktionsbedingungen. Sinn und Buchal bezogen den CO2-Ausstoß bei der Batterieherstellung und die Werte des deutschen Strommixes mit ein. Bestandteile der Batterien wie Lithium werden mit hohem Energieeinsatz gewonnen und verarbeitet. So belaste eine Tesla-Batterie für das Model 3 die Luft mit elf bis 15 Tonnen CO2. Bei einer Lebenserwartung von zehn Jahren für den Akku bei 15.000 Kilometern im Jahr berechneten die beiden Wissenschaftler bis zu 98 Gramm CO2-Ausstoß je Kilometer.

Windkraft gegen Artenschutz

Windräder gelten als Symbol grüner, kohlendioxidfreier Stromerzeugung. Dabei ist die Energiedichte des Windes gering, der Erntefaktor von Windkraftanlagen (WKA) extrem mickrig (JF 21/19). Gegenüber kompakten Kohle- oder Kernkraftwerken ist der Flächenverbrauch und damit die Bodenversiegelung von WKA in der Summe hoch, ehemals anmutige Felder und Höhenzüge sind weithin zugespargelt und gleichen Industriegebieten. Unter dem Infraschall, den die Rotoren erzeugen, leiden nicht wenige Anwohner.

Für Klimaschützer gibt es gute Bäume und schlechte Bäume: Gute und schützenswerte wie die im Hambacher Forst, der für den Braunkohle-Tagebau vom Energieversorger RWE nach und nach gerodet wird. Mit Baumbesetzungen und Groß-Demonstrationen soll das verhindert werden. Schlechte Bäume sind solche, die den Windkraftanlagen (WKA) im Weg stehen. Für die Energiewende und den Klimaschutz ist deren forcierte Aufstellung – jedes Jahr kommen etwa 1.000 Anlagen hinzu – erklärtes Ziel vieler Landesregierungen: So im Odenwald in Südhessen, im Kaufunger Wald mit dem Hohen Meißner und dem Reinhardswald mit der Sababurg in Nordhessen oder im Kleinen Thüringer Wald südwestlich von Suhl. Sogar Schutzgebiete werden für die Stromproduktion vernutzt.

Im Reinhardswald will die schwarz-grüne Landesregierung hektarweise Wald für WKAs abholzen lassen – in den „Märchenwald“ mit seinem dichten, bis zu 800 Jahre alten Baumbestand sollen dafür unzählige Schneisen geschlagen werden: Für eine WKA werden 180 Tonnen Stahl benötigt und 1.300 Kubikmeter Beton verbaut, die versiegelte Fläche pro Anlage reicht je nach Typ von 350 bis 500 Kubikmeter. Die Kranstellfläche kommt hinzu. Im Reinhardswald hat der Rotmilan seine Bruthabitate. Die Hälfte des Weltbestandes lebt in Deutschland. Doch die Rotorblätter an den hochhaushohen Anlagen sind für die bedrohten Greifvögel eine tödliche Falle: Sie zermetzeln die ahnungslos anfliegenden Tiere. Der Vogelschlag kann den Bestand einzelner Arten gefährden – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums für Norddeutschland. Alljährlich fielen um die 700 Rotmilane den WKAs zum Opfer – „das kann ein Bestand auf Dauer nicht auffangen“, so Jochen Tamm von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz.

Ähnlich im Kleinen Thüringer Wald. Nach den Plänen der rot-rot-grünen Koalition in Erfurt sollen ein Prozent der Landesfläche für den Bau von WKAs ausgewiesen werden. In den Windvorranggebieten sollen bis zu 25 WKAs errichtet werden. Das bedeutet auch hier die Zerstörung eines geschlossenen Waldgebietes. Nicht renaturierbare Eingriffe in Flora und Fauna befürchtet die Bürgerinitiative „Gegenwind im Kleinen Thüringer Wald“. Deren Sprecher Hendrik Frühauf bangt um den Bestand des Schwarzstorchs: „Der fliegt genau über den Höhenzug, auf den die Windräder gestellt werden sollen“, sagt Frühauf der JF. Als Jagdpächter im Kreis Hildburghausen kennt er die Tiere des Waldes. Die Wildkatze braucht es ruhig und abgeschieden. „Ihr droht die Verdrängung durch die Lärmbelästigung, die oben am Rotor bis zu 105 Dezibel beträgt.“ Die WKAs würden die Kulturlandschaft verschandeln und sogar Schloß Bertholdsburg an Höhe überragen. Im Windvorranggebiet liegen alte Keltengräber. Betonierte Zuwegungen müssen im Wald gebaut werden, Leitungen und Umspannwerke. „Die Wirtschaftlichkeit ist nicht gegeben“, so Frühauf, auch weil der Wind durch die westlich vorgelagerte Rhön abgefangen wird und im Thüringer Wald nicht mehr mit Stärke ankommt.

Mehr als 100 WKAs sollen auch vor der Küste von Fischland-Darß-Zingst in die Ostsee gebaut werden. Dieser Tage kam die Genehmigung für die Windindustriezone „Gennaker“, obwohl die Gemeinde Zingst gegen den Planfeststellungsbeschluß klagt. Das Amt für Landwirtschaft und Umwelt hat nichts dagegen einzuwenden, daß die Anlagen fast doppelt so hoch sein werden wie die Windräder des 2011 in Betrieb genommenen Offshore-Windparks „Baltic 1“ mit 21 Anlagen und Umspannplattform. Der Druck, die Energiewende zu schaffen, macht die Ausweitung um das Fünffache möglich. Opfer der Windkraft sind auch Insekten: Die 30.000 WKAs häckseln fünf bis sechs Milliarden Mücken, Bienen, Hummeln, Marienkäfer und weitere Kerbtiere aus der Luft – pro Tag. Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ist auch der Luftraum in durchschnittlicher Nabenhöhe von 140 Metern einer WKA bevölkert. Fünf Prozent der Insekten schaffen es nicht, lebend an einem Windrad vorbeizufliegen. Ein Gewicht von jährlich mindestens 1.200 Tonnen Insekten, das als Matsch auf den Rotoren bleibt.

Dämmzwang

Wer sein Haus dämmt, spart angeblich Geld und wird zum Klimaschützer. Denn: Dämmung läßt durch den geringeren Energieverbrauch die Heizkosten sinken. Die Dämmlobby predigt diesen Glaubenssatz seit Jahren. Was ist dran?

18,9 Millionen Wohngebäude stehen in Deutschland. Bis 2050 will die Bundesregierung einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand realisieren. So steht es im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE), der am 3. Dezember 2014 von der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen wurde. Die Bundesregierung behauptet: Bei der Dachdämmung läge das Einsparpotential bei bis zu 14 Prozent, bei der Außenwanddämmung sind bis zu 21 Prozent drin, und eine Kellerdeckendämmung bringe neun Prozent Energieeinsparung.

Doch wie groß ist der ökologische Nutzen? Die Wärmeenergieeinsparung klingt ohnehin nicht berauschend. Eine Studie des Forschungsinstituts Prognos für die staatliche Förderbank KfW kam 2013 zu folgendem Ergebnis: Um die Einsparziele der Bundesregierung zu erreichen, müßten bis 2050 rund 838 Milliarden Euro investiert werden. Dadurch würden aber nur 370 Milliarden Euro an Energiekosten eingespart. Die restlichen 468 Milliarden Euro zahlt der Mieter oder Eigentümer.

Darüber hinaus sind die Veröffentlichungen der Ökobilanzen der verschiedenen Dämmstoffe ohne Aussage. Denn es kommt darauf an, was, wieviel Fläche, womit gedämmt wird und wie lange der Dämmstoff an der Wand bleibt.

Rind oder Gemüse?

Knapp ein Fünftel aller Treibhausgas-Emissionen der Welt entsteht durch die Nahrungsmittelindustrie. Davon entfallen wiederum 55 Prozent auf Lagerung, Transport und Zubereitung. Der größte Klimaschädling sei das Rind, seine negative Wirkung auf das Klima vielfältig, so das World-Watch-Institute. Ob es pupst, sich melken oder schlachten läßt – den Klimaschützern kann das Rindvieh es nicht recht machen. Methan wirke laut Wirtschaftswoche 25 mal stärker auf das Klima als CO2. Um ein Kilogramm Butter zu produzieren, braucht der Meier 18 Liter Milch. So landet dies Lebensmittel auf Platz 1 der Klimaschädlinge. Laut Ökotest „werden für ein Kilogramm Butter knapp 24 Kilogramm CO2-Äquivalente ausgestoßen“. Der Wert gibt an, welchen Beitrag ein Produkt zum Treibhauseffekt hat. Als Vergleichswert dient Kohlendioxid. Auf Platz 2 folgt Rindfleisch mit 13,3 Kilo CO2-Äquivalente, Platz 3 besetzen Käse und Sahne mit 8,5 Kilo bzw. 7,6 Kilo CO2-Äquivalente.

Besser Obst und Gemüse essen? Nein, so die Carnegie Mellon University (USA). Sie berechnete 2015 die CO2-Emission von Lebensmitteln pro Kalorie, kam zum Schluß: „Der Verzehr von mehr Obst, Gemüse, Milchprodukten und Meeresfrüchten nach den USDA-Empfehlungen ist umweltschädlicher, da diese Lebensmittel einen relativ hohen Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen pro Kalorie aufweisen.“ Grund dafür sei der hohe Wasser- und Stromverbrauch, der zur Erzeugung von Obst und Gemüse als Nahrung benötigt wird. Er sei höher als der für die Futterproduktion für Tiere.





Städte erklären Klimanotstand – alle Entscheidungen unter Klimavorbehalt

Konstanz machte im Mai den Anfang, Heidelberg, Erlangen, Münster und mehrere Kommunen in Nordrhein-Westfalen folgten, Kiel ging als erste deutsche Landeshauptstadt voran: Immer mehr Städte und Gemeinden rufen auf Beschluß ihrer Kommunalparlamente den „Klimanotstand“ aus. Bochum reihte sich vergangene Woche ein. In München und Berlin wird darüber diskutiert. Auch Zürich und einige kanadische Städte machen mit. 

Potsdam könnte als erste Stadt in Brandenburg folgen, nachdem die Bündnisgrünen mit 18,7 Prozent aus der jüngsten Kommunalwahl als zweitstärkste Kraft hervorgingen und ein rot-grün-rotes Bündnis im Stadthaus droht. Die linksradikale Fraktion „Die Andere“ preschte mit einem Antrag an die Stadtverordnetenversammlung vor, den Klimanotstand zu beschließen. Unter ausdrücklicher Berufung auf das Konstanzer Beispiel sei die Eindämmung der behaupteten „Klimakrise“ sowie ihrer „schwerwiegenden Folgen“ eine Aufgabe „von höchster Priorität“.

Der alarmistische Begriff „Klimanotstand“ behauptet eine „akute und gegenwärtige Gefahr“ für das Klima und durch dessen Veränderung und daraus resultierende Folgen auch für das Leben der Menschen – so der Konstanzer Gemeinderat. Städte, die einen solchen „Notstand“ ausrufen, prüfen künftig sämtliche Vorlagen und Entscheidungen standardmäßig auf ihre Auswirkungen auf das Klima und den Ausstoß von CO2. Wirtschaftlichkeit soll zurückstehen.

Die Eingriffe werden erheblich sein: Konstanz formuliert ausdrücklich, daß sich die Resolution nicht bloß auf das lokale Klima am Bodensee bezieht, sondern auf das Klima weltweit. So setzt die Stadt auf ein nicht weiter definiertes „Mobilitätsmanagement“ für das gesamte Straßennetz, um den Bürgern die Nutzung ihres eigenen Autos zu verleiden, will beschleunigt Altbauten energetisch modernisieren (Mieten werden sich verteuern), schreibt den Stadtwerken strengere „Klimaziele“ vor, fordert bei Neubauten eine „klimaneutrale“ Energieversorgung mit einem höchstmöglichen Anteil lokal verfügbarer „regenerativer“ Energien sowie ein „Energiemanagement“ für städtische Gebäude. Kiel will für den städtischen Fuhrpark nur noch E-Autos anschaffen, die Investitionen in den Ausbau des Radwegenetzes fast verdoppeln, an Gebäuden im kommunalen Bestand stromsparende LED-Beleuchtungen anbringen und die Dächer mit Solaranlagen belegen, bei Neubauten und Sanierungen soll eine Versorgung durch „regenerativ“ erzeugte Wärme obligatorisch geprüft und wo möglich umgesetzt werden.

Potsdam unterdessen ist bereits Klima-Modellkommune und hat sich im Masterplan „100 Prozent Klimaschutz bis 2050“ das Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen bis 2050 um 95 Prozent zu senken und den Endenergieverbrauch um die Hälfte, beides bezogen auf das Referenzjahr 1990. Der Plan sieht vor, ähnlich wie in anderen Klima-Kommunen in Bebauungspläne bestimmte Energiestandards aufzunehmen – als Kann-bestimmung. Das Handlungskonzept Hitzeschutz, auf Antrag der Linksfraktion beschlossen, sieht schon jetzt vor, auf Hitze und Trockenheit mit dem Anpflanzen widerstandsfähiger Baumsorten, der Aufbringung stärker hitzeresistenten Asphalts oder dem einfachen Bespülen von Straßen mit Kaltwasser zu reagieren, auch durch die Aufstellung eines dritten Trinkwasserbrunnens im Stadtgebiet, der Verwendung heller Farben an Gebäuden gegen Aufheizung oder dem Anbringen zusätzlicher Markisen. 

Im Konzeptpapier der Koordinierungsstelle Klimaschutz in der Stadtverwaltung tauchen allerdings leidige Zielkonflikte auf: Trotz angenommener Überhitzung wegen „Jahrhundertsommern“ soll es keine zusätzliche aktive Raumkühlung durch Klimaanlagen geben – wegen des Energieverbrauchs und eben des Klimaschutzes. Der Appell an die Bürger, Straßenbäume selbst zu wässern, wälzt städtische Aufgaben und Kosten auf die Bürger ab. Ohnehin steht hinter vielem Angedachten in dem Hitzepapier ein „Finanzierungsvorbehalt“ – als kalte Dusche. (ru)