© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Der nächste Trump kommt aus den Anden
Südamerika: Wie der indigene Nationalismus die Politik in Peru durcheinanderwirbelt
Jörg Sobolewski

Als im März 2014 die brasilianische Polizei eine Autowäscherei in der Hauptstadt Brasilia auf der Suche nach Finanzströmen eines Kartells durchsuchte, konnte noch niemand die Folgen absehen. Der nach aktuellem Wissensstand größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Kontinents´, der sogenannte „Autowäsche-Skandal“, hat in ganz Südamerika die bestehende Ordnung erschüttert, ein erhebliches Maß an Vertrauen der Bürger in die Demokratie zerstört und so manchen Abgeordneten, Bürgermeister und Präsidenten ins Gefängnis gebracht. Das gilt besonders für Brasilien; die Wahl des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro mit seiner Anti-Korruptionskampagne legt davon beredtes Zeugnis ab.

Die Auswirkungen auf die Politik in Peru sind mindestens ebenso dramatisch wie in Brasilien: Die letzten drei gewählten Präsidenten der Andenrepublik sind entweder in Untersuchungshaft (Pedro Pablo Kuczynski, Ollanta Humala) oder haben nach Bekanntwerden der Ermittlungen Selbstmord begangen (Alan Garcia). Außerdem in U-Haft sind die Bürgermeisterin der Hauptstadt Lima und diverse Abgeordnete. Dutzende Infrastrukturprojekte stehen still, weil bei der Vergabe vermutlich Schmiergeld geflossen ist. Hinzu kommt, daß beinahe täglich mehr Politiker ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Die andauernden Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden betreffen mittlerweile Amtsträger aus allen Parteien. Ob links oder rechts – jede Partei ist betroffen.

Im benachbarten Bolivien hingegen ist der große Knall bisher ausgeblieben. Der bei der Bevölkerung enorm beliebte Dauerpräsident Evo Morales weist lieber auf seinen indigenen Nationalstolz hin, der die Korruption in Südamerika gewissermaßen zu einer Angelegenheit der Oberschicht erklärt. Diese Argumentation hatte bisher ein gewichtiges Problem: Obwohl Morales und der Untersuchungshäftling Humala aus unterschiedlichen Indianervölkern stammen, sind beide maßgeblich von der Ideologie des „Ethnocacerismus“ beeinflußt.

Diese in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Ollanta Humalas Vater, Isaac Humala, gegründete Bewegung verbindet sozialistische mit indigenen und nationalistischen Ideen. Die Bewegung operierte seit Jahren am Rand der extremen Rechten von Peru. Isaac Humala war von der Existenz einer „goldenen Rasse“ überzeugt, die an die Gegebenheiten in den Anden perfekt angepaßt, diese als natürlichen Lebensraum für sich beanspruchen sollte.

Bei Indigenen verfängt Ollantas autoritärer Stil

In den Jahrzehnten seit der Jahrtausendwende eröffnete sich jedoch durch einen „Weg in die Mitte“ für seinen Sohn Ollanta die Möglichkeit, die Welle linker Wahlsiege in Südamerika zu nutzen. Er wurde 2011 zum Präsidenten in Peru gewählt. Die Befürchtungen liberaler und konservativer Kreise vor Verstaatlichungen und staatlicher Umverteilung erwiesen sich jedoch als unbegründet. Ollanta Humala ließ den wirtschaftsliberalen Kurs seiner Vorgänger unangetastet. Auch daher halten dem ehemaligen Oberstleutnant und Kriegsveteranen viele Weggefährten vor, sich mit der Oberschicht arrangiert zu haben; vor allem sein Bruder Antauro, der 2021 als Präsident kandidieren will.

Als Humalas größtes Problem bisher galt seine aggressive und unversöhnliche Art, Politik zu machen. Der Korruption überführten Politikern drohte er in der Vergangenheit gern ein „Füsilierungskommando“ an. Ein entsprechend großes Problem stellen für ihn die Ermittlungen gegen seinen Bruder dar, mit dem er hart ins Gericht geht. „Wenn du als Offizier noch Ehre im Leib hast, solltest du dich umbringen.“ Das Zitat stammt aus einem Brief, den er nach Beginn der Ermittlungen seinem jüngeren Bruder über die sozialen Netzwerke zukommen ließ.

Seitdem verfolgt das ganze Land gebannt die Entwicklungen rund um den streitfreudigen Ex-Soldaten, der am 2. Juni offiziell seine Kandidatur zur Präsidentschaft ankündigte – aus der Haft heraus. Antauro Humala hatte 2005 gemeinsam mit einigen Gesinnungsgenossen einen Putsch gegen den damaligen Präsidenten in die Wege geleitet, der allerdings nach wenigen Tagen zusammenbrach. Humala wurde daraufhin zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, die er in einem Hochsicherheitsgefängnis nahe der Hauptstadt Lima absitzt.

In einem Interview mit der überregionalen Zeitung Diario Correo Peru verband er seine Kandidatur mit einer Drohung gegen seinen Bruder. Er würde bald seinen Fehler aus den Zweitausendern, einen „Verräter zum Präsidenten gemacht zu haben, aus eigener Kraft korrigieren“. Gerade bei vielen Indigenen aus dem Süden der Republik, im ehemaligen Herzen des Inkareiches, verfängt diese Androhung drakonischer Gerechtigkeit verbunden mit dem Versprechen auf wirtschaftliche Besserung. In den kleinen Dörfern der Hochanden lebt bis heute die kollektive Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit unter ­Pachacutec, dem größten aller Inkaherrscher, den Humala gern als „ersten Ethnocaceristen“, als „Kronzeugen der nationalen Bewegung“ anführt. Kein Wunder also, daß er dort bereits als Präsident gefeiert wird. Seine aus dem Gefängnis übertragenen Reden erreichen in den sozialen Netzen Hunderttausende Zuschauer und werden in entlegenen Gebieten in den indigenen Kulturzentren auch direkt übertragen.

Zugute kommt ihm dabei auch die strikte Organisation seiner Bewegung, die das komplette Instrumentarium einer politischen Bewegungspartei aufbietet, einschließlich einer uniformierten Jugendorganisation. Bisher gelingt es ihm jedoch nicht, Begeisterung in der ganzen Republik zu entfachen. Besonders im traditionell konservativen Norden trauern viele noch den Zeiten des autoritären Alberto Fujimori nach. Just dem Präsidenten, gegen den Antauro und Ollanta Humala noch vereint zu putschen versuchten.

Opposition warnt vor         einem „neuen Humala“

Auch wegen dieser gemeinsamen engen Zusammenarbeit mit seinem Bruder in der Vergangenheit warnt die aufgeschreckte Opposition vor einem neuen Humala im Präsidentenamt. Er stecke weiterhin mit seinem Bruder unter einer Decke und werde diesen so schnell wie möglich begnadigen. Auch die sozialrevolutionären Thesen des Ethnocacerismus erzeugen gerade im Norden Abwehrreflexe, schließlich ist der Norden Perus von der Flüchtlingswelle aus Venezuela besonders betroffen.

Erfolg oder Mißerfolg Antauro ­Humalas werden davon abhängen, ob er glaubhaft versichern kann, für einen neuen harten Kurs gegen die Korruption zu stehen, ohne indes das fehlgeschlagene sozialistische Experiment Venezuelas zu wiederholen. Dennoch sprechen aufmerksame Beobachter der Lage bereits vom nächsten „Trump aus den Anden“. Politisch mögen deutliche Unterschiede zwischen dem wirtschaftsliberalen Bolsonaro und dem sozialistisch angehauchten Antauro Humala bestehen – das Erfolgsrezept könnte dasselbe sein: einer Gesellschaft, die jegliches Vertrauen in Sozialismus und Demokratie verloren hat, das einzige unverbrauchte Konzept anzubieten – autoritären Nationalismus.