© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Radikal, sofort – und koste es, was es wolle
Elektromobilität: Eine Milliardenwette auf die Zukunft / Politische Zurückhaltung wäre angebracht
Dirk Meyer

Das Dieselgate von VW ist das Fukushima der Autoindustrie. Getrieben von schlechtem Gewissen, gesellschaftlichem Druck, aktivistischen Umweltschützern und neuen EU-Abgasnormen, wird ein begründetes Anliegen – die Eindämmung von Treibhausgasen – in einer kopflosen, jakobinischen Revolution umgesetzt: Die Elektromobilität – radikal, sofort, alternativlos, koste es, was es wolle. Begleitet von der Einordnung als „gut“ (neuere Benziner) und „schlecht“ (Diesel), werden Widersprüche und Nebenwirkungen geleugnet, symbolische Ersatzhandlungen (Innenstadtfahrverbote) vorgenommen und ein sozialer Ausgleich für die hohen E-Kosten gefordert.

Strommix für die Batterieherstellung

Batterieelektrische Motoren, so der Fachausdruck, gelten als emissionsfrei und senken im Neuwagenmix den durchschnittlichen Ausstoß der Fahrzeugflotte. Nach den Abgasskandalen geht es hier aber um eine weitere, diesmal EU-behördliche Irreführung der Verbraucher. Es bedarf keiner Fachkunde, um sowohl bei der Produktion der Batterien wie auch beim Ladestrom einen nicht unerheblichen Ausstoß an CO2 und andere Umweltlasten zu vermuten.Während Verbrennungsmotoren zirka 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Betrieb verursachen, entsteht bei einem E-Pkw durch die Produktion der Batterie ein „CO2-Rucksack“ von über 30 Prozent. Knapp 70 Prozent entfallen auf die Strombereitstellung.

Untersuchungen zur relativen Vorteilhaftigkeit des CO2-Ausstoßes kommen aufgrund unterschiedlicher Annahmen zu abweichenden Ergebnissen (JF 18/19). Entscheidender Einflußfaktor für den Vorteil der E-Mobilität ist der Strommix für die Batterieherstellung und für den Ladestrom. Da ein Großteil der Batterien in China (37 Prozent), Südkorea (10 Prozent) sowie Polen und Ungarn (10 Prozent) produziert wird, kommen hier deutlich mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz als in Deutschland.

Einige Studien belegen die Vorteilhaftigkeit des E-Pkw, indem sie Anleihen auf die Zukunft nehmen und den Anteil der regenerierbaren Energien in Deutschland von derzeit 35 Prozent einfach höher ansetzen. Aufgrund der größeren Batterie sind E-Pkw mit großer Reichweite generell umweltbelastender. Hier liegt die Grenze ihres Vorteils derzeit bei etwa 400 Kilometer. Schließlich beeinflußt eine eventuelle Weiterverwendung der Batterie als stationärer Energiespeicher nach 200.000 Kilometer bei noch etwa 60 bis 70 Prozent Speicherkapazität die CO2-Vorteilhaftigkeit.

Jedoch werden wesentliche Aspekte der E-Mobilität bei der Konzentration auf die Treibhausgase ausgeblendet. Was nützt eine wenig praktikable Reichweite eines gegebenenfalls umwelteffizienten VW e-up! (147 km) oder eines VW E-Golfs (228 km)? Der aus der Fliegerei bekannte „Point of no Return“ bekommt neue Anwendungsgebiete. Er halbiert die Reichweite mangels Ladesäule am Zielort oder des Verzichts auf einen unkomfortablen Zwischenstopp. Sollte der Aufbau der Schnelladestationen auf Raststätten dem Zuwachs bei E-Pkw (2017: 53.861; 2018: 83.175 Stück) zeitnah folgen, so bleibt das Problem der Stromladestellen in den Innenstädten. Es besteht nicht nur ein Platzproblem in den Anwohnerstraßen. Hinzu kommt ein Netzproblem, denn die Stromversorgung ist für diese Last derzeit weder in den Tiefgaragen noch in den Straßen ausgelegt. Was passiert im Falle eines mehrtägigen Stromausfalles? Ein Ersatzkanister hilft hier nicht mehr weiter, und das Notstromaggregat für die Pumpen der Zapfsäulen gibt es irgendwann nicht mehr. Sollte der Lkw-Anlieferverkehr dann auch auf E-Mobilität umgestellt sein, drohen einschneidende Versorgungsengpässe.

Die Anschaffungskosten steigen mit der Reichweite überproportional. Selbst unter Berücksichtigung des 4.000-Euro-Bonus ist der VW e-up! ca. 50 Prozent teurer als der Benziner. Auch in der Kompaktklasse ist der Listenpreis des VW e-Golf um 30 Prozent höher. Erst nach zehn Jahren gleichen sich die Gesamtkosten bei angenommenen 150.000 Kilometer aufgrund der geringeren Betriebskosten des E-Pkw (kein Ölwechsel, geringere Stromkosten) in etwa an. Und das bei einer vier- bis fünffach höheren Reichweite und einer wesentlich höheren Höchstgeschwindigkeit des Verbrenners.

Reichweite treibt bei E-Autos den Preis in die Höhe

Dies erklärt die derzeit geringe Kaufneigung trotz Umweltbonus und einer zehnjährigen Kfz-Steuerbefreiung. Hinzu kommt die soziale Komponente. Welcher Haushalt mit niedrigem Einkommen kann sich die E-Mobilität leisten? Die französischen Gelbwesten begannen ihre Proteste wegen einer Benzinpreiserhöhung. Verständlich, daß sich VW zum Anwalt der Geringverdiener macht: Erhöhung des Umweltbonus für die Kleinstwagen-Klasse und staatlich-kostenfreier Ladestrom für Geringverdiener finanziert durch Bund, die Hersteller und Stromkonzerne.

Der Volkswirtschaft droht mit der E-Mobilität bis 2030 ein unumkehrbarer Strukturwandel und ein Verlust von netto 100.000 Arbeitsplätzen. Dabei entfällt ein erheblicher Teil auf die Zulieferindustrie (Kurbelwelle, Lüfter, Motorsteuerung, Vergaser, Tank, Getriebe, Zündung). Die staatlich initiierte Vorfestlegung auf die E-Technologie ist eine Anmaßung von Wissen über die vermeintlich beste Technik. Als Autoindustrie mit weltweitem Absatz müssen unterschiedliche Mobilitätslösungen für China (Städte), die USA (weite Entfernungen) und Deutschland (Stadt- und Langstrecke) angeboten werden.

Neue Dieseltechnologie, Plug-in-Hybrid, Methangas, Brennstoffzelle und andere Technologien sollten diskriminierungsfreien Zugang im Wettbewerb finden. Hinzu kommen neue Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Politik hat im Zusammenspiel mit Naturwissenschaftlern lediglich die anspruchsvolle Aufgabe, die Höhe der klimaunschädlichen Umweltnutzungen festzulegen. Den Rest erledigen Zertifikatehandel und Knappheitspreise. Damit würde allerdings nicht verhindert, daß das in Europa eingesparte Öl durch die Verweigerer des Pariser Klimaabkommens (USA, Brasilien) günstig verbraucht wird. Dies setzt die Einhaltung weltweiter Rahmenabkommen voraus.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

IAB Forschungsbericht „Elektromobilität 2035 – Effekte auf Wirtschaft und Erwerbstätigkeit durch die Elektrifizierung des Antriebsstrangs von Personenkraftwagen“:  doku.iab.de/