© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

In vino veritas – die Ausgießung des Heiligen Geistes in Gestalt eines Rieslings ist an Pfingsten, da (seit Bertolt Brecht) die Geschenke am geringsten, nicht zu verachten. Tumult ist aber auch im Café des West-Sektors garantiert, da ich im gleichnamigen Magazin die kongenial komprimierten, als Zweizeiler formatierten „Mikroaggressionen“ des Autors und Regisseurs Marc Pommerening lese, etwa: „Faust verkaufte seine Seele. / Keinem fiel auf, daß sie fehle. (…) Seiner Herkunft schämt er sich / Aus dem Deutschtum öffentlich. // Kultur, sagt Faust, sei niemals national. / Mephistos Schergen finden Faust genial.“ Wie gerufen wird da eine Werbepostkarte der Berliner Polizei hereingereicht mit dem Motto „Steht ein Kroate am Kotti …“, mit der Fortsetzung auf der Rückseite: „… und legt dem Dealer Handschellen an.“ Darunter: „Selbst mit italienischem Temperament bewahrst du die feine englische Art, auch wenn dir etwas spanisch vorkommt? Bewirb dich jetzt als Europäerin oder Europäer unter: www.polizei.berlin.de/polizei/beruf“ Na dann auf zu „Berlins Karneval der Kulturen / Da wo die letzten Deutschen spuren.“ Oder huren? Ach, Dichtung ist so eine Sache.


Als ich nachts einen Passanten am Hohenzollerndamm ermahne, der provokant auf ein Baugerüst uriniert, ruft er mir zu: „Verpiß dich!“ Auch hier lohnt ein Blick in Pommerenings „Mikroagressionen“: „Auf die Deutschen darfst du pissen. / Das erleichtert ihr Gewissen.“ Was wußte schon Marx? Plötzlich wird mir klar: Nicht das Wissen ist Macht, das Gewissen ist es! Noch immer ist mir das Bild der Schülerin am U-Bahnhof Schönhauser Allee vor Augen, die am Karfreitag mit einem Schild zur „Fridays for Future“-Prozession unterwegs war, Losung: „This is not our planet!“ Leider hat ihr niemand entgegnet: „Was zum Teufel hast du dann hier noch zu suchen?“ Doch selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lobt am Tag des CDU-Wirtschaftsrates diesen Klimakreuzzug: „Ich finde das gut – und wenn Fridays for Future zur Dauer wird, machen wir den Samstag wieder zur Schulpflicht.“ Am Ende ist wohl alles eine Frage der Umsetzung, so formuliert Schäuble, der noch gemeinsam mit Ludwig Erhard im Bundestag gesessen hat und an diesem Tag die in dessen Namen verliehene Gedenkmünze in Gold erhält, in Anlehnung an Bill Clinton: „It’s the implementation, stupid.“ So schüttelt auch ein leidgeprüfter Ingenieur für Gebäudeausrüstung ungläubig den Kopf, als er den Broschürentitel „Intelligente Kommune“ liest: Das, so der Mann auflachend, sei ja „ein Widerspruch in sich“.