© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/19 / 14. Juni 2019

Der Flaneur
Zugfahrt mit Hofreiter
Günter Denner

Mannheim Hauptbahnhof, Gleis 2. Zehn Meter neben mir wartet ein Mann mit stämmigen Beinen, Vollbart und blonden langen Haaren auf den ICE. Irgendwo habe ich ihn schon einmal gesehen. 

Im Zug läßt er sich ausgerechnet mir gegenüber in den Sitz fallen, vermutet wohl, in meiner einfachen Kleidung steckt ein Gesinnungsgenosse. Wir sitzen im Ruhebereich des Abteils, er plaudert munter mit einem seiner beiden Telefone. In einer Gesprächspause frage ich ihn: „Sind Sie Herr Hofreiter?“ „Ja.“ „Darf ich Sie etwas fragen?“ „Ja“, sagt Hofreiter. „Weshalb haben Sie eben die Plastikpfandflasche in den Restmüll gesteckt?“ möchte ich wissen. Seine Äuglein werden noch kleiner und blicken unsicher umher, seine Atmung wird schneller, und ich fürchte, er wird gleich losschreien wie ein verzogenes Kleinkind. 

Er zeigt die auch mit meinen Steuergeldern mitfinanzierte Bahncard 100 1. Klasse vor.

Er erklärt in aggressiver, aber mittlerer Tonlage: „Das ist keine echte Pfandlasche, und es ist völlig egal, wo ich die hinwerfe, die wird eh aussortiert. Deutschland exportiert seinen Plastikmüll nach Malaysia, wo er ins Meer geworfen wird, weil das die billigste Entsorgung ist.“ Das sei möglich, weil der Plastikmüll als „Wertstoff“ gekennzeichnet sei. Müll dürfe nämlich nicht exportiert werden, Wertstoffe schon. „Da gebe ich Ihnen recht, das ist Irrsinn“, stimme ich ihm zu. „Das wollen wir Grüne ändern“, kündigt Hofreiter an. 

Die Schaffnerin kommt, er zeigt seine Bahncard 100 1. Klasse vor, die auch ich ihm mit meinen Steuergeldern kredenzt habe. Er klickt auf seine Mobiltelefone, ich widme mich meiner Arbeit. Kurz vor Erfurt machen wir uns fertig zum Aussteigen. Diesmal läßt Herr Hofreiter seinen Müll auf dem Tisch liegen. Ich nehme noch einen kräftigen Schluck Leitungswasser aus meiner Kunststoffflasche, die ich seit über dreißig Jahren auf Reisen verwende. Ich gehöre nicht zur grünen Führungselite und muß nicht durch Verbotsanträge zur Lösung des Weltmüllproblems beitragen.