© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Altbundespräsident Gauck fordert Toleranz „Richtung rechts“
Wenn es plötzlich zu bunt wird
Dieter Stein

Die jüngste Oberbürgermeisterwahl in der schlesisch-sächischen Provinz offenbarte, wie blank die Nerven bei etablierten Kräften liegen wegen des Erstarkens der AfD in den östlichen Bundesländern. Nur eine örtliche „Nationale Front“ von CDU bis Linkspartei plus ein Appell mit Hollywood-Größen sorgten in Görlitz am Schluß mit Ach und Krach dafür, daß Sebastian Wippel von der AfD bei 45 Prozent stehenblieb und der Kandidat der CDU, Octavian Ursu, siegte. Ein Sieg mit sehr schalem Beigeschmack.

Im Spiegel versucht sich Altbundespräsident Joachim Gauck  darin, zu erklären,  warum besonders auf dem Gebiet der ehemaligen DDR solche renitent abweichenden politischen Meinungen zu verzeichnen sind. Schlagzeilen machte dabei seine Forderung nach einer „erweiterten Toleranz in Richtung rechts“: Mehr noch: „Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden.“ Daß eine solch banale Feststellung zu anhaltendem Raunen im Blätterwald sorgt, zeigt, wo in Wirklichkeit die Probleme liegen. 

Bei näherem Hinsehen zeigt Gauck nämlich, daß hinter der Fassade eines Plädoyers für „mehr Toleranz und Offenheit“ die Vorstellung eines gouvernantenhaft eingeschränkten „diskutablen“ demokratischen Spektrums steht. Als evangelischer Pfarrer könnte er hier anprangern, daß der Evangelische Kirchentag das Gespräch mit AfD-Politikern verweigert.

Gauck attestiert jedoch nicht der EKD Schwierigkeiten mit der Demokratie, sondern hält „einem relevanten Teil“ seiner ostdeutschen Landsleute ein „Unbehagen an der Leitkultur der politischen Moderne“ und „systembedingte Haltungsdefizite an staatsbürgerlichem Verhalten“ vor. Den AfD-Anhängern unterstellt er indirekt, Sehnsucht nach „Sicherheit und gesellschaftlichem Konformismus“ zu haben, statt begeistert zu sein von „Freiheit, Offenheit und Pluralität“.

Doch wer hat denn tatsächlich die größten Probleme mit „Offenheit und Pluralität“? Wer kann es nicht ertragen, wenn in einer Demokratie nicht nur Linke und Mitte, sondern hin und wieder auch eine rechte Partei gewinnt? Oder daß diese überhaupt existiert?  Tatsächlich kann wohl jeder Konservative aus seinem familiären und privaten Umfeld ein Lied davon singen, daß in aller Regel nicht sie, sondern die „toleranten“ linken oder „mitte-linken“ Verwandten und Freunde es sind, die Schwierigkeiten haben, zu akzeptieren, daß sie nicht allein auf der Welt sind. „Pluralität“ und „Offenheit“ hören plötzlich auf, wenn es wirklich „bunt“ zu werden droht.

Gauck meint im Spiegel auch: „Multikulti ist nicht umstandslos gut, das kann ganz schön anstrengend sein.“ Wohl war. Auch Demokratie ist ganz schön anstrengend. Wenn man feststellen muß, daß das wirklich mit der Akzeptanz abweichender Meinungen zu tun hat.