© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Von Küken und Kindern
Babys töten: Geht es um Tiere, ist der Deutsche sensibel, nicht aber bei Menschen
Birgit Kelle

Kükenschreddern: Wer sein Leben im Angesicht sinnlos dahingemetzelter flauschiger Küken nicht augenblicklich auf vegan umstellt, muß sich ab sofort zumindest den Vorwurf fortgesetzter Herzlosigkeit bei jedem weiteren Biß in ein knuspriges Chicken-Nugget gefallen lassen. Vergangene Woche entschied ein Gericht, daß es in Deutschland weiterhin erlaubt sei, die aus Sicht von Tierzüchtern nutzlosen, unwirtschaftlichen, männlichen Küken nach der Geburt massenhaft zu töten, zumindest solange die Methode der präventiven Geschlechtsfeststellung im Hühnerei noch nicht ausgereift sei. Politik, Tierschützer, das Gericht und die Tierzüchter selbst sind sich einig: Es sei „unethisch“, Tiere zu töten, nur weil man sie nicht braucht. 

Geht es um Tierbabys, ist der Deutsche sensibel. Wir haben Gesetze, die Hunde-welpen das Recht garantieren, nach der Geburt ein paar Monate bei ihrer Mama zu bleiben, damit sie keine psychischen Störungen entwickeln. Wir tragen Frösche über die Straße, retten Bienen, und wenn Kälbchen von ihren Müttern getrennt werden, damit die Kuhmutti ihre Milch lieber für den Supermarkt produziert, echauffiert sich sogar die Süddeutsche Zeitung mit herzzerreißenden Schlagzeilen wie „Kühe ohne Kindheit“. Das kollektive Kükenretten läßt sich gerade politisch keiner entgehen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert, die Bundesregierung müsse die „unwürdige und unethische Praxis jetzt gesetzlich beenden“; Linken-Abgeordnete Amira Mohamed Ali nennt es „Barbarei“; die Tierschutzpartei möchte endlich Tierrechte ins Grundgesetz; die FDP findet es „unerträglich“; die Grüne Jugend ist entsprechend ihrem Intelligenzquotienten „fucking angry“, und Georg Restle, Leiter des ARD-Magazins „Monitor“, spricht angesichts des Gerichtsurteils gar von einem „juristischen Offenbarungseid“. 

Zu den Schlagzeilen, die wir niemals in den Tageszeitungen lesen oder bei ARD-Reportagen hören werden, gehören jedoch jene wie: „Kinder ohne Kindheit“ oder auch „Kinderschreddern ethisch skandalös“. Dabei findet es täglich statt. In den vergangenen 20 Jahren wurden über fünf Millionen Kinder im Bauch ihrer Mütter zerstückelt und getötet, weil sie gerade aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Lebenskonzept ihrer Eltern paßten. Tausche das Wort „Küken“ gegen „Kinder“ und der Skandal fällt aus, weil niemand die Praxis beim Namen nennt.

Während das deutsche Fernsehen Bilder vom Kükentöten offeriert, wurde das Unrecht an ungeborenen Menschenkindern aus Sprache und Bild getilgt oder geschönt. Noch nie wurde der Überlebenskampf eines Kindes während einer Abtreibung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder im Schulunterricht gezeigt – was man auf Ultraschallbildern genau sehen könnte, wenn man wollte. 

Bei Küken ist es also „Schreddern“, bei Kindern im Mutterbauch wurde es aseptisch und verbraucherfreundlich umgeschrieben, auf daß sich niemand durch martialische Sprache gestört oder irritiert fühle. Die Abtreibung wird so zur „Schwangerschaftsunterbrechung“, als könne man eine Werbepause einschalten und danach mit der Schwangerschaft fortfahren. Statt „Töten“ hören wir das Märchen vom „Kampf um die Rechte der Frau“. Abtreibung wird zum „Recht auf reproduktive Gesundheit“, dabei geht es gerade darum, Reproduktion zu verhindern.

Das Kind darf nicht einmal mehr „Embryo“ sein, professionelle Abtreibungslobbyisten wie Pro Familia sprechen längst vom „Schwangerschaftsgewebe“, so als gälte es, einen gefährlichen Tumor aus dem Bauch der Mutter zu entfernen und nicht ihr eigenes Kind. „Pro Choice“ nennen sich die Abtreibungslobbyisten, die zuletzt im Bundesstaat New York die Legalisierung von Abtreibung bis zum Einsetzen der Wehen im neunten Monat erkämpften. Möchte das jemand mal bildlich sehen, wie ein überlebensfähiges Kind im neunten Monat kurz vor der Geburt getötet wird? Jemand sollte solche Bilder den Damen von den Jusos einmal vorspielen, damit sie wenigstens wissen, was sie bei ihrem jüngsten Bundesparteitag als vermeintliches „Frauenrecht“ gefordert haben. Wer von Barbarei sprechen will, findet hier sicher Anschauungsmaterial. 

Erst kürzlich mokierte sich ARD-Framing-Expertin Elisabeth Wehling darüber, daß sich diese „Abtreibungsgegner*innen“ tatsächlich „Lebensschützer“ nennen und damit allen, die anderer Meinung seien, unterstellten, „sie seien gegen das Leben“. Wer nicht „Pro Life“ sei, sei demnach „Pro Death“. Aus Perspektive des ungeborenen Kindes ist das schlicht eine nüchterne Feststellung. Es muß Menschen, die gewohnt sind, Ereignisse aus dem eigentlichen Kontext in medial erwünschte Rahmen zu setzen, zutiefst irritieren, wenn andere dennoch sprachlich pedantisch genau bleiben. Für fortgesetzte Sprachverschleierung und Sprechverbote sorgen weltweit Aktivisten, Unternehmen und auch Staaten. 

Anfang Juni verweigerte Twitter beispielsweise der US-Lebensschutzorganisation Live Action weitere Werbung, solange sie auf dem Portal und selbst auf ihrer unabhängigen Internetpräsenz weiterhin über „Abtreibungsverfahren“ schreibt oder gar „Ultraschallbilder“ von Ungeborenen zeigt. Frankreich hat es 2017 gesetzlich geregelt: Nicht etwa Abtreibung, sondern deren „Behinderung“ durch „Desinformation“ in den sozialen Medien gilt seither als Straftat, die mit zwei Jahren Haft und 30.000 Euro Geldstrafe geahndet werden kann. Informationen zu Komplikationen oder psychischen Folgen von Abtreibungen sind damit nicht mehr die Verbreitung von Fakten, sondern Auslegungssache im Bereich strafbarer „Desinformation“. Statt Meinungsvielfalt gilt fast wortwörtlich: Bloß nicht das Kind beim Namen nennen.