© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Deckel druff, Miete ruff
Berlin: Volksinitiative zur Wohnungsenteignung erreicht nötige Unterschriftenzahl / Bausenatorin will ab 2020 Mietobergrenze einführen
Peter Möller

In Berlin stehen die Zeichen auf Enteignungen. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Volksinitiative zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen, die am vergangenen Freitag die erste Hürde genommen hat: Die Initiatoren überreichten der zuständigen Innenverwaltung 77.001 Unterschriften von Berliner Bürgern, die die Initiative seit April gesammelt hatte. 

Damit wurden die Voraussetzungen mehr als übererfüllt: Denn für die erste Stufe des Volksbegehrens waren lediglich 20.000 gültige Unterschriften notwendig. Kein Wunder also, daß die Initiatoren zuversichtlich sind, ihr Ziel, die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen, tatsächlich zu erreichen. „Wir spüren einen großen Rückhalt in der Bevölkerung“, sagte der Sprecher der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, Rouzbeh Taheri. „Das ist ein starkes Signal für die Änderung der Eigentumsverhältnisse und für eine grundsätzlich andere Mietenpolitik in der Stadt.“ 

Doch bevor tatsächlich die ersten Wohnungsunternehmen in Berlin enteignet werden können, um ein weiteres Steigen der Mieten zu verhindern, prüft der Senat nun, ob das Ziel des Volksbegehrens rechtlich überhaupt zulässig ist. Erst dann kann das Volksbegehren in die zweite Phase gehen. Dann müßten sieben Prozent der wahlberechtigten Berliner (etwa 170.000) innerhalb von vier Monaten den Antrag der Initiative unterstützen. Ist auch das erfolgreich, kommt es zum Volksentscheid, bei dem nicht nur mehr Ja- als Neinstimmen nötig sind, sondern sich auch mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen und mit „Ja“ stimmen müssen. Derzeit wären dafür etwa 613.000 Stimmen nötig. Dann stünde der Senat vor der Herausforderung, die bis zu 36 Milliarden Euro bereitzustellen, die das chronisch klamme Berlin als Entschädigungen für die geplanten Enteignungen aufbringen müßte.

Auch wenn es bis dahin noch ein langer Weg ist: Die Enteignungsinitiative hat bereits jetzt schon die Politik nicht nur in der Hauptstadt in Aufregung und hektische Betriebsamkeit versetzt. Nicht zufällig standen an diesem Dienstag die Eckpunkte für einen sogenannten Mietendeckel auf der Tagesordnung des rot-rot-grünen Senats.

Eigentümerverband ruft zur Mieterhöhung auf

Nach den Plänen von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) soll ab Anfang 2020 in Berlin eine Mietobergrenze gelten und die Möglichkeit eingeführt werden, daß überhöhte Mieten auf Antrag gesenkt werden. Zudem schlägt Lompscher ein Mietenmoratorium vor. „Die Mieten dürfen für fünf Jahre nicht erhöht werden“, heißt es in dem Papier. Das Gesetz soll für alle 1,4 Millionen Berliner Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern gelten, die nicht preisgebunden sind, also ausgenommen Sozialwohnungen. Mit ihren Plänen geht Lompscher deutlich über das hinaus, was SPD, Grüne und Linkspartei in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben haben.

Bis Ende August will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen das Gesetz fertigstellen. Wenn der Senat dem Entwurf zustimmen sollte, könnte ihn das Abgeordnetenhaus im Dezember beschließen, so daß er bis spätestens Mitte Januar 2020 in Kraft treten kann. Der Senat könnte das Gesetz laut Juristen aber auch so formulieren, daß der Mietendeckel rückwirkend zum 18. Juni 2019 wirksam wird. Vor allem diese Möglichkeit hat in der vergangenen Woche für besondere Aufregung gesorgt. 

Denn der Eigentümerverband Haus & Grund rief die Vermieter auf, Mieten in Berlin kurzfristig zu erhöhen, um den drohenden Mietendeckel zu unterlaufen. „Erhöhen Sie unbedingt bis zum 17. Juni die Miete“, hieß es auf der Internetseite des Verbandes, auf dem zusätzlich ein Countdown bis zum 18. Juni 2019 sekundengenau zu sehen war.

Bausenatorin Lompscher kritisierte den Aufruf von Haus & Grund scharf. Der Appell sei ein „verheerendes Signal“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. „Mieterinnen und Mieter werden so zum Faustpfand der Immobilienlobby degradiert. Wer Mieterhöhungen gezielt einsetzt, um die Politik auf Kosten von Mieterinnen und Mietern unter Druck zu setzen, entlarvt sich selbst.“ Trotz des Protestes der Senatorin haben laut Medienberichten die ersten Mieter in Berlin in den vergangenen Tagen Post von ihren Vermietern bekommen, in der ihnen eine Mieterhöhung angekündigt wurde.