© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Grüße aus Shanghai
Ellenbogen ausfahren
Elke Lau

Am Flughafen von Shanghai empfängt uns die deutsche Reiseleiterin mit ihrem chinesischen Fahrer Chen. Nach Ankunft in unserem Hotel steht wenig später ein Abendessen auf dem Programm. Der Dritte in unserem Bunde, ein hochgewachsener älterer Österreicher, läuft schon unruhig in der Hotellobby auf und ab. Kurz nach der Begrüßung ist Hugo verschwunden. Die Reiseleiterin entdeckt den Österreicher schließlich nach langer Suche dösend im Bus.

Unser Restaurant befindet sich im 9. Stock eines Kaufhauses. Vor zwei Lastenaufzügen in einem besenkammergroßen Verschlag, anscheinend einziger Zugang zur Gaststätte, warten etwa 50 Chinesen, die beim Öffnen der Türen ihre Ellenbogen ausfahren und die Kabinen stürmen, die dann zu überladen sind, um abzuheben. Was aber keiner einsieht, so daß die erste Viertelstunde verstreicht, indem sich die Fahrstuhltür abwechselnd öffnet und schließt.

Tische und Fußböden sind übersät mit Hühnerknochen, Servietten und Undefinierbarem.

Das Restaurant wird überwiegend von Einheimischen besucht und hat 360 Plätze. Tische und Fußböden: übersät mit Hühnerknochen, Servietten und undefinierbaren Speiseresten. Wir haben Mühe, unser reserviertes Séparée zu erreichen, ohne auszurutschen. Wie in China üblich, stehen die Gerichte auf einem Drehteller, also beginnen wir gleich mit dem Essen. Hugo meidet den Umweg über seinen Teller und ißt der Einfachheit halber direkt von den Servierplatten. Uns vergeht der Appetit.

Während sich die anderen, auch Fahrer Chen, bescheiden an einem Glas Bier festhalten, bestellen Hugo und ich Rotwein. Nach mehrfacher Aufforderung schenkt uns die Bedienung ein paar Tropfen ein. Obwohl Hugo weder Chinesisch noch Englisch spricht, verhilft er uns mit unmißverständlichen Drohgebärden zu vollen Gläsern.

Die als Dessert gedachte Pyramide aus kunstvoll geschnitztem Obst rührt niemand mehr an. Fahrer Chen lehnt empört das Ansinnen ab, die Früchte für seine Frau mitzunehmen. Dann würde er sein Gesicht verlieren.

Keine zehn Pferde bringen uns dazu, noch einmal den Fahrstuhl zu betreten. Die Reiseleiterin fordert einen Sicherheitsmann auf, augenblicklich den Schlüssel für die Glastür zu besorgen, hinter der Rolltreppen unentwegt leer auf und ab rauschen. Als der Funktionär aufschließt, stehen wir bereits inmitten eines Pulks Chinesen, die auf uns einreden und dabei lächeln. „Sie bedanken sich, daß es Ihnen gelang, die Sicherheitstür öffnen zu lassen“, erklärt Chen.