© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Vom Lieblingskind zum Sorgenfall
Windkraft: Die Industrie verstärkt den Druck auf Berlin und fordert mehr Fläche und weniger Bürokratie
Christian Schreiber

Die Windbranche, einst Deutschlands Lieblingskind in Sachen Energiewende, kämpft mit Problemen: Insolvenzen, Genehmigungsstau und schlechte Stimmung. Der Höhenflug der Grünen soll die Branche nun beflügeln. Unmittelbar nach dem Rekordergebnis bei der Europawahl meldete sich prompt die frühere Parteivorsitzende Simone Peter zu Wort: „Aus der starken Beteiligung der Menschen an der Europawahl, dem deutlichen Themenfokus auf Klimapolitik und dem Wahlergebnis insgesamt sollte die Bundesregierung jetzt einen Auftrag zum Handeln ableiten. Die Bundesregierung muß nach Monaten der Stagnation endlich nach vorn gehen und Klimaschutz, Industriepolitik und soziale Verantwortung zusammenführen. Klimaschutzpolitik schafft Innovation, sichert bestehende und schafft neue Arbeitsplätze, die unsere Volkswirtschaft langfristig tragen. Es gilt nun den Hebel herumzureißen und bis zum Sommer für die Menschen in unserem Land klar erkennbar zu machen, wohin die Politik dieses Land im Bereich der Klima- und Energiepolitik steuern will“, sagte sie in ihrer Funktion als Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).

Gnadenloser Preiskampf auf dem Wind-Weltmarkt

Am 9. April schockte eine Meldung die Branche: Der Windanlagenbauer Senvion meldete völlig überraschend Insolvenz an. Und das bei eigentlich beeindruckenden Zahlen: 45 Milliarden Euro Umsatz, 4.000 Mitarbeiter und 40 Millionen Euro operativer Gewinn. 

Doch das nutzte nichts, weil Kreditgeber Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens hatten. Senvion geriet durch Verzögerungen bei großen Projekten in einen finanziellen Engpaß: Am Ende mußte es hohe Strafzahlungen an Kunden leisten, gleichzeitig ging der Umsatz zurück. Eine Woche später dann Entwarnung. Ein Kreditvertrag über 100 Millionen Euro garantierte erst einmal die Betriebsfortführung.

Windkraft-Befürworter erklären seitdem, daß Deutschland für eine weltweit boomende Branche zum Sorgenkind werde. Die Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) teilte Ende März mit, daß die Ausbausituation im ersten Quartal 2019 so schlecht sei wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr. „Lediglich 41 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 134 Megawatt sind in den ersten Monaten des Jahres dazugekommen. Im Vergleich zu den Vorgängerjahren ist der Markt somit um knapp 90 Prozent eingebrochen“, heißt es in einer Analyse.  Nun soll der Druck auf die Politik erhöht werden. „Die Menschen erwarten, daß zügig die Weichen für den Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren Energien gemäß dem Koalitionsvertrag und den Pariser Klimazielen gestellt werden.“ 

Deutschland müsse wieder in die Vorreiterrolle zurückfinden. Dies helfe auch der Industrie und sichere zugleich die starke Position der Erneuerbare-Energien-Branche in dynamisch wachsenden internationalen Märkten“, erklärt Windenergie-Lobbyistin Simone Peter.

Rund 400.000 Arbeitsplätze bietet die Branche mittlerweile, doch die Stellung auf dem internationalen Markt ist zunehmend geschwächt. Seit Jahren schon kämpfen mittelgroße deutsche Windkraftanlagenhersteller wie Senvion, Nordex und Enercon mit den Veränderungen auf dem Weltmarkt. Der globale Markt für Windkraftanlagen wachse dagegen, erklären Experten, und die Prognosen würden weiter nach oben zeigen. 

Vor allem in China, den USA, Indien, Brasilien und Frankreich würden neue Windräder errichtet. „Hier liefern sich Hersteller wie Senvion mit großen Herstellern wie der weltweiten Nummer eins, dem dänischen Hersteller Vestas, einen gnadenlosen Preiskampf bei den Aufträgen. Großkonzerne wie Siemens und General Electricb aus den USA haben ihre Windsparten teils durch Zukäufe erweitert. Siemens etwa hat sein Geschäft mit Windrädern mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa zusammengelegt. Die können mit größeren Stückzahlen günstiger anbieten als kleine und mittlere Anlagenbauer“, analysierte die Wirtschaftswoche unlängst das Dilemma.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) führt die schwierige Lage auf die Begrenzung der möglichen Zubaumenge und den Fehlstart der freien Ausschreibungen zurück. „Nach jetziger Datenlage ist kaum davon auszugehen, daß die Zuschläge aus dem Jahr 2017 tatsächlich zeitnah umgesetzt werden. Zuschläge in Höhe von 2.500 Megawatt drohen wertlos zu werden“, warnt Hermann Albers, Präsident des BWE.

 Albers wird von Medien gerne als Pionier der Energiewende gefeiert. Sein Einsatz für die weitere Förderung der Branche geschieht dabei nicht nur aus Sorge um das Gemeinwohl. Albers ist selbst Betreiber von Windparks, baute 1992 seinen ersten auf einem Acker. Im Ehrenamt fungiert er als Sprecher eines Lobby-Verbandes, im Hauptberuf führt er eine Reihe von Windparks in Norddeutschland. Nun trommelt er landauf, landab für mehr Unterstützung.

Dabei gibt es auch Kritiker, die sagen, die Windenergie habe sich zu lange auf Subventionen verlassen, die eine betriebswirtschaftliche Führung erschwere.  Hinzu komme eine schwierige Lage bei den Zulassungen für Windparks, die immer öfter auf Gegenwehr in Form von Bürger-Klagen stoßen. Darunter würde die einheimische Industrie leiden, durch Insolvenzen bei Zulieferern hätten mehrere tausend Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren. Deutschland sieht sich gerne als Vorreiter in Sachen Energiewende. Doch die Bilanz fällt nicht überzeugend aus. 

Regierungskoalition steht unter Druck 

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, bis 2030 einen Anteil der Erneuerbaren Energien im Stromsektor (Anteil am Bruttostromverbrauch), von etwa 65 Prozent zu erreichen. Um das Energiesystem bis zum Jahr 2050 dann „weitestgehend auf erneuerbare Energien umzustellen“ – die Rede ist von einem Mindestanteil von 80 Prozent am Bruttostromverbrauch – steht auch die Windenergie an vorderster Stelle. 

Die Regierungskoalition sieht sich dabei auch in ihrem Anfang Juni veröffentlichten zweiten Fortschrittsbericht zur Energiewende „Energie der Zukunft“ auf einem guten Weg. „Ein zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau der erneuerbaren Energien ist gemäß Koalitionsvertrag eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende und Klimaschutzpolitik“ heißt es dort. 

Die Ergebnisse der Expertenkommission zum Monitoring-Prozeß „Energie der Zukunft“ sieht das etwas anders. Um das selbstgesteckte 65-Prozent-Ziel bis 2030 überhaupt noch erreichen zu können, mahnt sie einen „stärkeren Zubau der Erneuerbaren Energien“ an. Für die Windenergie an Land wird dabei ein jährlicher Zubau von 4.000 Megawatt gefordert. Bei Offshore soll der Ausbau um 5.000 Megawatt angehoben werden (siehe Infokasten).

Dies sieht auch Wind-Lobbyist   Heinrich Bartelt so. Das BWE-Vorstandsmitglied, zugleich Geschäftsführer des Energieparks Druiberg in Dardesheim (Sachsen-Anhalt) sowie Vorstandsmitglied im Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) und Vizepräsident der World Wind Energy Association (WWEA), läßt Berlin in keinem guten Licht stehen. In China und Indien werde auf die Tube gedrückt, um Windkraftanlagen zu bauen“, erklärte er den Westfälischen Nachrichten. 

 Bartelt sucht mit seinen Mitstreitern derzeit überall nach Absatzmärkten. Auch in Mali, einem der ärmsten afrikanischen Staaten, habe sich sein Verband engagiert. „Gerade in Ländern ohne vorhandene Stromnetze bieten erneuerbare Energien Entwicklungschancen. Ich habe mir dort zehn Dörfer angesehen, die sich allein mit ­Solarpanels und Batterien eine verläßliche Stromversorgung aufgebaut haben“, sagt Bartelt, „überall ist Kleingewerbe und Handwerk entstanden.“ Der Strom kurbele in dem sonnenreichen Land die Wirtschaft an.

Wahlerfolge der Grünen heizen die Stimmung an

Beflügelt durch die Wahlerfolge der Grünen erhöhen die Windkraft-Lobbyisten nun die Schlagzahl. Das hat direkte Auswirkungen auf die Politik. In Schleswig-Holstein, wo eine „Jamaika-Koalition“ aus CDU, FDP und Grünen regiert, kokettiert die Ökopartei schon mal mit einem Bruch des Regierungsbündnisses, sollten die Klimaziele nicht hochgeschraubt werden. Einige Firmen seien gar nicht mehr am Markt, andere würden abwandern, erklärt der Grünen-Abgeordnete Bernd Voß. Die Gelassenheit aus CDU und FDP könne er nicht nachvollziehen. „Man sollte nicht erwarten, daß die Hersteller im Standby-Modus darauf warten, daß bei uns endlich gebaut werden kann. Wer das tut, versteht entweder nichts von Wirtschaft oder will bewußt Energiewende und Klimaziele gefährden.“

Doch so einfach ist die Sachlage nicht. Neidisch blickt die Branche nach China und Indien, wo der Staat der Windenergie breite Förderung zukommen läßt, aber gleichzeitig die Märkte abschottet. Chinesische Firmen produzieren in chinesischem Auftrag, gleiches gilt für Indien. Dadurch könnte den Asiaten ein Wettbewerbsvorteil entstehen und sie dazu ermuntert werden, in Europa auf den Markt zu drängen. Gerade chinesische Firmen haben in der Vergangenheit gezeigt, daß sie in dieser Hinsicht nicht gerade zimperlich sind. Neben der internationalen Konkurrenz gibt es aber auch Probleme vor der eigenen Haustür. Immer mehr Bürger und auch Naturschutzverbände klagen gegen neue oder auch bereits genehmigte Anlagen. 

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Schattenwurf und Vogelsterben sind nur zwei der oft gebrauchten Argumente. „Windkraft-Pioniere!“ wie Albers oder Bartelt fordern nun neue Beteiligungsmodelle für Bürger. So solle sich jeder als „Klein-Unternehmer“ beim Bau neuer Anlagen beteiligen können. Im Gegenzug verspricht man den Kleininvestoren steuerliche Vorteile und Rendite. Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Simone Peter findet dies in ihrer Funktion „sehr spannend“.





Zweiter Fortschrittsbericht zur Energiewende: Expertenkommission schlägt Alarm

In ihrer Stellungnahme zum zweiten Fortschrittsbericht zur Energiewende „Energie der Zukunft“ verteilt die Expertenkommission Lob und Tadel. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei „insgesamt weiterhin auf einem guten Weg“. Positiv sei, daß die Bundesregierung ihr Mindestziel, das einen Bruttostromverbrauchsanteil von 35 Prozent für das Jahr 2020 vorsieht, 2017 mit 36 Prozent und 2018 mit fast 38 Prozent übertroffen habe. Die Experten Andreas Löschel (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Georg Erdmann (TU Berlin, Fachgebiet Energiesysteme), Frithjof Staiß (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg) und Hans-Joachim Ziesing (AG Energiebilanzen) kritisieren jedoch, daß im Rahmen der Ausschreibungen für die Windenergie an Land das Volumen „wiederholt nicht ausgeschöpft“ worden sei. Auch die Anzahl der genehmigten Standorte lasse für die nahe Zukunft „keine Verbesserung erwarten“. Da eine Kompensation unter dem derzeitigen Regime weder innerhalb des Stromsektors noch durch andere Technologien möglich oder aus dem Wärme- oder dem Verkehrssektor zu erwarten sei, müsste die Bundesregierung „zusätzliche Maßnahmen“ ergreifen, um die im Koalitionsvertrag verankerte Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Brutto-Stromverbrauch auf 65 Prozent noch zu erreichen. „Mit großer Sorge“ nehmen die Experten zudem zur Kenntnis, daß das 65-Prozent-Ziel nicht als explizites Ziel für 2030 im Fortschrittsbericht zu finden sei. Um dieses Ziel zu erreichen, werde allerdings ein jährlicher Bruttozubau von rund 4.000 Megawatt für Windenergieanlagen an Land benötigt. Zudem müsste die Kapazität der Offshore-Windenergie um bis zu 5.000 Megawatt erhöht werden.  Hierzu sei aber eine „transparente, vorausschauende und ausgewogene Raumplanung“ nötig. Denn mehr und immer größere Windenergieanlagen an Land zögen „zweifelsohe“ Interessenkonflikte und zunehmende Akzeptanzprobleme nach sich. (ctw)