© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/19 / 21. Juni 2019

Die Macht der Bilder
Energiewende: Eine Technikhistorikerin plädiert für die Nutzung von Atomkraft
Richard Stoltz

Trouvaille bei den Salonkolumnisten, einem an sich nicht unsympathischen, ziemlich mutigen Netzportal: Die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland ruft dort die gegenwärtig so lautstarken Klimaretter dazu auf, sich endlich klar zur Atomkraft zu bekennen. „Wir lernen es in Schule, Kirche und Parlament: Die Atomkraft ist unbeherrschbar, Landschaften werden unbewohnbar, und Atommüll gibt über Millionen Jahre tödliche Strahlung ab. Dieses Bild steht im sonderbaren Gegensatz zu sechzig Jahren realer Atomkraft in Deutschland. Und weiter: „Statistisch gesehen hat keine Form von Ener-gieumwandlung in Deutschland so wenige Opfer gefordert und so wenige Umweltschäden produziert wie die Kernkraft.“

Die Wendland-Sätze stimmen Wort für Wort. Und dennoch bereiten sie dem älteren Normalleser tiefes Unbehagen. In seiner Erinnerung werden die sich jeweils über Wochen und Monate hinziehenden Medienbilder von den (wenigen) Atomkraft-Unfällen der letzten Jahrzehnte wach, Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima, und an die massenhaften Demonstrationen in Deutschland gegen Atomtransporte ausgebrannter Kernstäbe an ihre Endlagerplätze.

So groß war die Aufregung, daß Kanzlerin Angela Merkel es wagen konnte, einfach den Ausstieg aus der Kernenergie zu verkünden, ohne das Parlament oder einen auswärtigen Verbündeten überhaupt zu beteiligen. Kein europäisches Land folgte dem deutschen Verbot, und für die jungen Klimaretter  von heute ist die Gefahr der friedlichen Nutzung von Atomkraft nur noch nicht unkomische Legende.

Soviel zur Ignoranz der aufgeklärten Öffentlichkeit und zur Macht der Bilder, respektive der gelegentlichen Ohnmacht der Realität. Ändern wird sie sich trotzdem, fragt sich nur, wohin.