© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Akute Panik der Etablierten
Nach dem Lübcke-Mord: Periodische Hexenjagden als Selbstfeiern eines fehlkonditionierten Staates
Thorsten Hinz

Der abscheuliche Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, mutmaßlich verübt von einem Rechtsextremisten, hat eine weitere Hexenjagd gegen die AfD, gegen angebliche Fremdenfeinde und die Rechte im allgemeinen ausgelöst, wobei der Bannfluch „rechts“ alle trifft, die mit der Merkel-Politik öffentlich zu hadern wagen. Die Blitzschnelligkeit, mit der bei ungeklärter Sachlage der altbekannte Hetz- und Hatzmechanismus in Gang gesetzt wurde, ist ein Indiz dafür, daß die Bluttat bloß der willkommene Anlaß für die periodisch fällige Exorzismus-Übung war.

Die Rechten seien der „Krebs unserer freien Gesellschaft“, der „klare Gegenmaßnahmen“ erfordere, twitterte die Öko-Unternehmerin Sina Trinkwalder. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz nannte diese Zeitung einen „rechtsradikalen Ölfleck“, der das „demokratische Grundwasser versaut“. Der abgehalfterte SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, dem zur angestrebten Zweitkarriere als politischem Vordenker die natürlichen Voraussetzungen fehlen, will die rechten Diskursorte „ausgehoben“ wissen. Sämtliche großen Medien bilden eine geschlossene Sturmgeschütz-Phalanx „gegen Rechts“. Der überforderte Innenpolitik-Chef des Merkel-treuen Kampfblatts FAZ, Jasper von Altenbockum, ruft nach „Ausgrenzung“ und „Intoleranz“ gegen die AfD und nach Gerichtsverfahren gegen „Sympathisanten“.

Das zitierte Stürmer-Vokabular ist repräsentativ. Bei konstanter Schlichtheit im Geiste nimmt das Kesseltreiben an Intensität und Brutalität stetig zu. Ein anderer Ex-Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, will überführten Demokratiefeinden „entscheidende Grundrechte wie das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum oder auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis“ entziehen. Das ist in Teilen längst gängige Praxis. Wer sich als Gegner der offenen Grenzen offenbart, für den sind die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, der Landfrieden und sogar das Recht auf körperliche Unversehrtheit faktisch aufgehoben. Taubers Vorschlag läuft darauf hinaus, das vorstaatliche Handeln antifaschistischer Sturmabteilungen in staatliche Kompetenz zu überführen und seine Effizienz zu steigern.

Anscheinend trifft er eine im politisch-medialen Komplex weitverbreitete Stimmung. Innen- und Verfassungsminister Horst Seehofer, der nach Merkels Grenzöffnung die „Herrschaft des Unrechts“ anprangerte, macht sich nun zu deren Lakai und stimmt der Eskalationsstrategie ausdrücklich zu.

Sollten die Pläne Wirklichkeit werden, wird man zwischen den mit „richtiger“ Gesinnung und vollen Rechten ausgestatteten „Bundesbürgern“ auf der einen und den mit „falschen“ Überzeugungen und entsprechend geringeren Rechten ausgestatteten „Staatsangehörigen“ auf der anderen Seite zu unterscheiden haben. Letztere würden eine Klasse von Heloten bilden, die man beliebig ausplündern und öffentlich vorführen darf. Denn ist der Horror erst einmal in Gang gekommen, wird er zum Selbstläufer.

Die sich als Verteidiger der Demokratie aufspielen, unternehmen in Wahrheit alles, um die freie, faire, öffentliche Meinungs- und Mehrheitsbildung zu blockieren. Dazu berufen sie sich auf „Werte“ – die oft nur eine Camouflage niederer Beweggründe und persönlicher Egoismen darstellen – und leiten aus ihnen ein diktatorisches Durchgriffsrecht ab.

Das sind Zeichen akuter Panik im politisch-medialen Komplex. Der europaweite Zerfall der alten Parteiensysteme hat auch Deutschland und insbesondere die ehemaligen Volksparteien voll erfaßt. Im Angesicht dessen, was sie angerichtet haben, sind die etablierten Politiker und Medienvertreter außerstande, sich rational, argumentativ, kurzum: im echt demokratischen Sinne zu legitimieren. Sie werden von der importierten islamistischen Terrordrohung, der ausgreifenden Clanherrschaft, der flehentlichen Bitte der Münchner Polizei an den türkischen Generalkonsul, seine Landsleute zur Contenance im öffentlichen Raum aufzufordern, widerlegt. Um trotzdem Handlungsfähigkeit nachzuweisen, schlagen sie auf einen Popanz als die vermeintliche Quelle der Probleme ein und schüren den kalten Bürgerkrieg.

Es ist sinnlos, mit Vernunftgründen dagegen anzureden. Im Interesse seiner geistigen Hygiene tut man gut daran, die laufende Kampagne als einen neuen Krankheitsschub zu werten. Die tiefere Krankheitsursache liegt weniger in der unter fremder Vormundschaft vollzogenen Staatsgründung 1949 als in der intellektuellen Nachkonstituierung der Bundesrepublik durch die Frankfurter Schule, die durch „1968“ symbolisch markiert wird. Demnach wird dieser Staat nicht mehr als politische Organisationsform verstanden, welche die innere und äußere Freiheit der Deutschen sichert. Statt dessen wird er ideologisch, als der „explizite Gegenentwurf“ zum Dritten Reich normiert.

Diese dogmatische, inzwischen auch höchstrichterlich festgelegte Fixierung auf ein totalitäres System und das auf Dauer gestellte „kritische Durcharbeiten der NS-Vergangenheit, die stete Selbstkonfrontation mit diesem Thema“ (Alexander Mitscherlich), haben mitnichten zur Katharsis, zur geistig-moralischen Reinigung, geführt, sondern über den Zwischenschritt totaler Selbstermächtigung im Namen des Guten zu einer Reimplementierung totalitärer Denk- und Verhaltensweisen. Das Stürmer-Vokabular und die Pogromstimmung, die wir gerade erleben, sind keine situativen Überhitzungen, sie haben System. Die periodischen Hysterieschübe sind die Selbstfeiern und -vergewisserungen eines fehlkonditionierten Staates und einer neurotisierten Gesellschaft. Der dritte deutsche Ideologiestaat hat begonnen, seine parlamentarischen, rechtsstaatlichen und freiheitlichen Verpuppungen abzustreifen und sein neototalitäres Potential freizugeben.