© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Erdogan-Kandidat verliert Bürgermeisterwahl in Istanbul
Die Rache des Sultan
Jürgen Liminski

Ein Sultan kennt nur Sieg oder Niederlage. Als 1683 der damalige Feldherr und Großwesir Kara Mustafa die Belagerung Wiens aufgeben mußte, schickte ihm der Sultan in einem Schmuckkästchen eine Seidenschnur. Es war die Aufforderung zum Selbstmord. Sultan Recep Tayyip Erdogan wird seinem Premierminister Binali Yildirim zwar kein Schmuckkästchen schicken, aber politisch ist der Großwesir von heute tot. Und wer wie mancher Europäer westlich von Wien glaubt, der Sultan zeige Einsicht in demokratische Vorgänge, der verkennt das Denken islamischer Despoten.

Erdogan wird sich rächen. Zunächst an denen, die den Sieger unterstützt haben. Das sind zunächst die Kurden. Sie werden in der syrischen Provinz Afrin und in anderen Siedlungsgebieten die Rache zu spüren bekommen. Dann diejenigen, die im Gezi-Park gegen den Sultan demonstriert haben. Ihnen wird als Putschisten der Prozeß gemacht. Und wer meint, er könne die Präsidentenpartei AKP verlassen oder gar spalten, dessen politisches Schicksal hängt fortan an einem seidenen Faden.

Nein, Erdogan gibt nicht auf. Und er gibt auch Europa nicht auf. Die Niederlage von Istanbul wird er als demokratisches Alibi vorweisen, um die EU-Gespräche wieder aufleben zu lassen. Leider ist zu befürchten, daß die Europäer willfährig darauf eingehen. Da waren die Allianzen vor 340 Jahren noch aus anderem Holz.