© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/19 / 28. Juni 2019

Ländersache: Sachsen-Anhalt
Sag niemals nie
Paul Leonhard

Am grünen Tisch gefaßte Beschlüsse sind nichts wert, wenn sie nicht die Lebenswirklichkeit widerspiegeln. Das bekommt gerade die Bundes-CDU zu spüren – und ihre Abgrenzungsbeschlüsse zur AfD. Aktuell sorgt eine neunseitige „Denkschrift“ aus Sachsen-Anhalt für parteienübergreifende Aufregung. Das Papier listet all jene Fehler und Versäumnisse auf, die nach Meinung der Autoren die Merkel-CDU den Rückhalt in der Bevölkerung gekostet haben. 

Die „ungesteuerte Migration“ habe zu einer „Zunahme an neuer brutaler Kriminalität“ geführt. Die Partei, die es versäumt habe, die „Sehnsucht nach Heimat“ zu verteidigen, wäre gut beraten, „dem linken Mainstream aus gesteuertem Gutmenschentum und Klimaverständnis durch eine deutliche Politik mit klaren Aussagen zu begegnen“, fordern Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, beide Vize-Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion. Grundlage der Gesellschaft seien „nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit“, daher müsse die CDU „Herkunft und Erhalt des Wohlstandes“ wieder stärker thematisieren, um das „Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. 

Sowohl die Kenia-Koalition, ein Bündnis aus CDU, SPD, Grünen, in Sachsen-Anhalt, als auch die Große Koaliton in Berlin würden der CDU „nachhaltig schaden“, schreiben die beiden Christdemokraten. Künftige Strategieüberlegungen müssen sich daher ausschließlich daran orientieren, „mit welchen Parteien die eigene Politik“ tatsächlich umgesetzt werden könne. Derzeit sei eine Koalition mit der AfD zwar nicht möglich, so Thomas gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung: „Wir wissen aber nicht, wie die Lage in zwei oder fünf Jahren ist.“ Man müsse abwarten, ob sich in der AfD die radikalen oder die liberalen Kräfte durchsetzen. Auf die zweite Variante hoffen viele mitteldeutsche Christdemokraten, denen Koalitionen mit den immer radikaler auftretenden Grünen, der abgehalfterten SPD und den SED-Nachfolgern ein Graus wären. 

Um ihren künftigen politischen Einfluß fürchten SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt, falls es zu einer Annäherung von CDU und AfD kommen würde. Man erwarte eine „eine klare und konsequente Distanzierung unseres Koalitionspartners“ von der Denkschrift, fordert Grünen-Landeschefin Susan Sziborra-Seidlitz. Besorgt über die „Verläßlichkeit der Zusammenarbeit mit der CDU in der gemeinsamen Regierungskoalition mit den Grünen“ zeigt sich auch SPD-Landesvorsitzender Burkhard Lischka. Die Kenia-Koalition wackelt, so lange sie existiert. Mit dem erzwungenen Rücktritt von Finanzminister André Schröder (CDU) wegen neu entdeckter Risiken und Intransparenz bei der in Schieflage geratenen Norddeutschen Landesbank hat die CDU-Fraktion vergangene Woche gegenüber ihrem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff die Muskeln spielen lassen. 

Das Thesenpapier wird auch Christdemokraten an der Basis in Sachsen, Brandenburg und Thüringen vor den anstehenden Landtagswahlen interessieren. Der Hinweis von Fraktionsvize Thomas lautet: „Wir sollten eine Koalition jedenfalls nicht ausschließen.“  Und Schröder – wenn er wohl auch eher seine Parteifreunde als die Wähler meinte – erinnerte anläßlich seines Rücktritts: „Die wichtigste Währung in der Politik ist das Vertrauen.“